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Porträt

Eleganz und Tiefe

Im englischen Sprachraum ist der Geiger James Ehnes ein Star, hierzulande ist er leider nur selten zu hören. Zum Glück hat seine Diskografie einen imponierenden Umfang
Von
Norbert Hornig
Foto: Benjamin Ealovega

Die Kölner Philharmonie ist gut besetzt an diesem Abend. Auf dem Programm der zweiten Wiederholung des 6. Sinfoniekonzerts mit dem Gürzenich-Orchester stehen das Violinkonzert von Johannes Brahms und Edward Elgars zweite Sinfonie. Sportlich federnden Schrittes betritt der Solist des Abends das Podium, es ist der kanadische Geiger James Ehnes. Schon 2008 war er hier zu Gast, mancher mag sich noch erinnern. Unter der Leitung des spanischen Dirigenten Juanjo Mena intoniert das Orchester die Exposition, alles läuft in gewohnten Bahnen. Mit dem Einsatz von James Ehnes wendet sich das Blatt, Hochspannung baut sich auf. Ehnes lässt seine Stradivari, die „Marsick“ von 1715, betörend schön singen und nimmt die Hörer mit auf eine wunderbare Reise.

Dann geschieht gleich im ersten Satz das Unvorhergesehene: eine Saite reißt. Der Albtraum eines jeden Geigers. Und nun wird klar, was Professionalität bedeutet. Ehnes tauscht seine Geige gegen das Instrument der Konzertmeisterin Ursula Maria Berg, spielt unbeeindruckt und perfekt weiter. Genauso nach dem Rücktausch der Instrumente wenige Minuten später. Es scheint, als könne nichts diesen Geiger aus der Ruhe bringen. Voll konzentriert breitet er die Kadenz vor seinen Zuhörern aus, die kaum glauben können, was sie sehen und hören. Allen Widrigkeiten zum Trotz lässt Ehnes das Brahmskonzert zu einem Erlebnis werden, erzählt seine Geschichte in großen Bögen, plausiblen musikalischen Zusammenhängen und mit einem Ton von leuchtender Klarheit. Dann spendiert er dem jubelnden Publikum mit derselben Eindringlichkeit und Überredungskraft noch einen Satz aus den Sonaten und Partiten von Bach.

Ehnes begeistert als ein abgeklärter, mit musikalischer Reife bezwingend gestaltender Musiker. Man könnte ihn als neuzeitlichen Prototypen eines „klassischen Geigers“ bezeichnen. Bei ihm gibt es keine Manierismen, keine Pose, keine Blenderei. Es ereignet sich Musik.

Der Weg zum Erfolg war für James Ehnes wegen seines überragenden Talentes, das sich früh zeigte, vorgezeichnet, aber nicht normiert. 1976 geboren, wuchs er in Brandon in der kanadischen Provinz Manitoba auf, weit weg von den großen Musikzentren. Ehnes kann sich an kein Schlüsselerlebnis erinnern, das ihn zur Geige brachte. „Das ist so eine mysteriöse Familiengeschichte. Es war immer viel Musik, vor allem Orchestermusik um mich herum. Mein Vater war Professor für Trompete an der Universität, meine Mutter hatte eine Ballettschule. Warum ich Geige lernen wollte, weiß ich nicht. Aber es war meine Wahl. Ich wollte schon immer eine Geige, und ich bekam sie dann endlich zu Weihnachten, einen Monat vor meinem fünften Geburtstag.“ Und die Dinge nahmen ihren Lauf für James Ehnes in Brandon, einer Stadt mit damals rund 35.000 Einwohnern. „Brandon war ein Sammelpunkt für interessante Menschen mit einer exzellenten Universität und einer Musikschule“, erinnert sich Ehnes. „Meine Eltern hatten Aufnahmen von Jascha Heifetz, Fritz Kreisler und all diesen älteren Geigern. Über Schallplatten lernte ich die großen Musiker kennen. Einmal konzertierte Isaac Stern in Winnipeg, das war eine große Sache. Er war der erste große internationale Solist, den ich im Konzert erlebte.“

Seine geigerische Ausbildung erhielt Ehnes bei Francis Chaplin, Schüler des legendären Louis Persinger, der auch Ruggiero Ricci und Yehudi Menuhin unterrichtet hatte. Den letzten Schliff holte er sich dann bei Sally Thomas, zunächst an der Meadowmount School of Music, danach an der Juilliard School in New York. „Beide ermutigten mich, meinen eigenen Weg zu suchen.“ Und den ging James Ehnes zielstrebig. Als Sohn professioneller Musiker war es für ihn eine realistische Option, ebenfalls Profi zu werden. „Ich hatte eine ganz normale Kindheit. Ich hab gern hart gearbeitet auf der Geige. Denn ich finde, man hat auch eine Verantwortung dem eigenen Talent gegenüber. Aber ich wollte auch mit meinen Freunden und mit Mädchen zusammen sein und Sport treiben. Ich hab früh von meinen Eltern gelernt, effizient zu arbeiten.“ Mit 13 Jahren debütierte er beim Orchestre Symphonique de Montréal, mit 15 gewann er den ersten Preis bei einem Violinwettbewerb in Toronto.

Viel wichtiger aber war, dass Ehnes Walter Homburger kennenlernte, den Managing Director des Toronto Symphony Orchestra, der als Manager auch schon Glenn Gould betreut hatte – und der genau wusste, wie das Musikbusiness tickt. Er wurde zu Ehnes’ Mentor. „Ich bin dankbar, dass ich wegen Homburger nicht an den großen Wettbewerben teilnehmen musste. Das wäre der nächste logische Schritt gewesen. Wichtig ist, wen man trifft, wem man vorspielen kann“, resümiert Ehnes.