Fein schattierter Ausdruck

Die Interpretation des Instrumentalensembles ‚Lautten Compagney‘ gefällt sowohl durch stilistische Bewandertheit und souveräne Spieltechnik als auch durch den fein schattierten Ausdruck in der motivischen Ausformulierung.“ So hieß es 1993 in der ersten Kritik, die das FONO FORUM der Berliner Lautten Compagney widmete. Da war das Ensemble schon neun Jahre alt, aber es hat eben etwas gedauert, ehe man im Westen auf diese ganz besondere Formation aufmerksam wurde. Wolfgang Katschner und Hans-Werner Apel hatten sie nach ihrem Studium der klassischen Gitarre 1984 in Ost-Berlin gegründet – ein für diese Zeit in der DDR sehr ungewöhnlicher Schritt in die Selbständigkeit. Neben die Solomusik für Laute, die zunächst den Schwerpunkt der Auftritte bildete, trat bald die Arbeit mit Sängern und anderen Instrumentalisten, um die ganze Vielfalt der Renaissance- und Barockmusik aufführen zu können. Wenn man die Lautenmusik des 16. und 17. Jahrhunderts spiele, komme man zwangsläufig zur Vokalmusik, weil die gesungene Musik die Basis für die Instrumentalmusik war – so erklärte mir Wolfgang Katschner 2004 den Weg des Ensembles.
Jetzt, zwanzig Jahre später, ist er immer noch die Stimme der Lautten Compagney. „Die zweiten zwanzig Jahre“, sagt er, „sind im Rückblick noch interessanter als die ersten zwanzig. Wir sind sehr gewachsen, haben uns verändert und auf dem Markt etabliert. Aber mir fällt immer auf, wenn ich alte Aufnahmen höre, dass das auch früher schon sehr schön war.“ Keine große qualitative Veränderung habe es also gegeben, aber die Ausrichtung sei vielfältiger und spannender geworden. Und natürlich kann man inzwischen mit den Stars der Szene zusammenarbeiten: Rolando Villazón gehört ebenso zu den Partnern des Ensembles wie Vivica Genaux, Anna Prohaska oder Dorothee Mields, mit der man schon seit vielen Jahren immer wieder Projekte realisiert.
Bereits 1989 hatte die Wende neue Möglichkeiten gebracht: Neben der Arbeit mit dem eigenen Ensemble konnten die beiden Lautenisten noch einmal zweieinhalb Jahre in Frankfurt bei Yasunori Imamura studieren. „Das war eine große Inspiration, bei ihm zu lernen“, erzählt Wolfgang Katschner. „Yasunori ist so ein breit aufgestellter Musiker, der die Renaissance-Laute ebenso beherrscht wie Barocklaute und Theorbe, auch als Continuo. Bei dem konnte man viel lernen. Er hat immer viel über zum Atem und zum Gesang erklärt.“ Das Ensemblespiel lief gleichzeitig weiter, und die Kontinuität, die sich das Ensemble über die Jahre erhalten hat, ist bemerkenswert: Viele der Musikerinnen und Musiker sind schon seit Langem dabei.
Inhaltlich hat sich die Arbeit immer weiterentwickelt: Geblieben ist das Interesse an „Ausgrabungen“ – nächstes Jahr gibt es wieder eine Oper von Reinhard Keiser zu entdecken. Hinzu kamen eigene Programmzusammenstellungen, die in den letzten Jahren immer mehr auch musikalische Grenzen überschreiten. So kam man auf die Idee, ABBA und Rameau zusammenzubringen. Das funktioniere besonders gut, sagt Katschner. Die Konzerte seien ausverkauft, seit man die Zusammenstellung bei einem Klassikfestival in der Türkei probiert habe. „ABBA ist einfach etwas, was alle Generationen kennen und gut finden.“ Und sie seien ja durch ihre Avatare auch gerade jetzt wieder präsent und im Gespräch.
Sehr aktuell ist auch die Verbindung von Kontrapunkt und künstlicher Intelligenz, zu der man ebenfalls ein aktuelles Programm gestrickt hat. Auch wenn Katschner selbst skeptisch ist, ob dabei für die Musik wirklich etwas Neues herauskomme. Aber wenn man sich die Kombination indischer Ragas und Barockmusik ansieht, sind interessante Einsichten garantiert – man höre sich nur die dabei entstandene Version von Monteverdis „Lamento della Ninfa“ an. Zu solchen interkulturellen Programmen komme ein ganz eigenes Publikum, auch jenseits der Alte-Musik-Szene, erzählt Katschner. „Wir werben für diese interkulturellen Projekte immer in der entsprechenden Community in Berlin.“ Mehrere Programme gibt es inzwischen in der Kombination mit dem Saxofon; 2008 bei „Timeless“ habe Katschner gemerkt, dass man Saxofon und Zink kaum auseinanderhalten könne. Und die Mischung aus Gesang, Klarinette und Zink passe ideal in die Klangwelt der Lautten Compagney.
Klassische Programme gibt es daneben natürlich weiter. „Nur Crossover möchte ich nicht spielen, das wäre mir zu langweilig“, sagt er. Wobei Langeweile wirklich das Letzte ist, was man mit Wolfgang Katschner in Verbindung bringen könnte. Schon allein deswegen, weil er die Hälfte seiner Zeit in seine „Arbeit als Kulturfunktionär“ stecken müsse. Auch da geht er gerne mit der Zeit, etwa indem er per Crowdfunding versucht, Projekte zu realisieren. Dabei gehe es nicht nur darum, die Finanzierung zu ermöglichen, sondern auch um eine bessere Kommunikation mit den Fans, die so direkt beteiligt werden können. Besonders viele Termine sind zum Jubiläum zustande gekommen, neben der Jubiläums-CD (einer Mischung von Musik aus alten Projekten, die aber neu aufgenommen wurden) hat die Lotto-Stiftung eine Vielzahl von Konzerten ermöglicht.
Ihre CDs hat die Formation über die Jahre bei den verschiedensten Labels herausgebracht, bis man mit dem Messias 2004 fest bei dhm/Sony landete. Mit „Redemption“ mit Anna Prohaska machte man 2020 noch einmal einen Ausflug zu Alpha – eine CD, zu deren Anlass FONO FORUM der Sopranistin ein Porträt widmete. Mit ihr zusammen gab es 2024 noch ein Tanzprojekt – auch da darf man hoffentlich Weiteres erwarten. Insgesamt ist in den 40 Jahren eine unglaubliche Menge von Programmen zusammengekommen. Ein Blick ins Archiv verrät dabei, dass bei unseren Rezensenten die vielfältigen Projekte des Ensembles oft großen Anklang gefunden haben.
Händels Kantate „Clori, Tirsi e Fileno“ zum Beispiel, die 1997 erschien. „In der Lautten Compagney findet dieses hübsche Werk sehr engagierte Interpreten, die in jedem Takt dicht an der Musik bleiben und mit packendem Zugriff die Spannung halten“, schrieb Matthias Hengelbrock damals. Die „solistische Besetzung der Streicherpartien“ sei „eine völlig überzeugende Lösung, da sich das Ensemblespiel der Lautten Compagney durch eine große Homogenität auszeichnet und überdies in seinem kammermusikalischen Ansatz immer wieder mit gelungenen Einzelleistungen bis hin zum großen Lautensolo besticht“.
„Dolce mio ben“ aus dem Jubiläumsjahr 2004 wurde sogar zur CD des Monats gekürt, und 2016 schaffte es die Aufnahme von Monteverdis „Marienvesper“ (gemeinsam mit dem Vokalensemble Amarcord) in die Liste der fünf interessantesten Aufnahmen, neben Stars der Szene wie dem Taverner Consort und Chor, dem The King’s Consort, La Petite Bande und The Sixteen.
Auch die eigenen Programme konnten punkten: „Geradezu begeisternd ist, dass die ebenso kongenialen wie fantasievollen Arrangements (Bo Wiget) der Hollaender- und Eisler-(Klavier-)Lieder für das Instrumentarium des 17. Jahrhunderts so problemlos funktionieren. Sie sind gewissermaßen das verbindende Element der musikalisch-stilistisch doch weit entfernten Kompositionen“, schrieb Elisabeth Richter 2018 zu „War and Peace“, und Gerald Felber notierte 2019 zur CD „Baroque Gender Stories“, dass „das Spiel mit den Geschlechteridentitäten innerhalb der Barockoper, ihre Verfremdungen und Maskierungen, über alle gerade modischen Genderdiskussionen hinaus einen zeitlos prickelnden, herausfordernden Reiz“ besitze.
Die Crossover-Projekte reizen manchmal auch zu Einwänden: „Teils gewagte Gegenüberstellungen von Frührenaissance und Minimal Music“ sah Christoph Vratz 2020 in „Circle Line“. „Einerseits Dufay, andererseits Reich, Cage, Meredith Monk u.a. Das wirkt konstruiert, auch klanglich. Musikalisch und aufnahmetechnisch aber verdient die Produktion Anerkennung. Die Lautten Compagney scheint in beiden Epochen heimisch zu sein: Subtil laufen die Fäden in Dufays ‚Apostolo glorioso‘ zusammen, sphärisch wirkt Glass’ ‚New World‘, erlöst-heiter Dufays ‚Gloria ad modum tubae‘.“ Und zu „Time Travel“ befand Martin Demmler 2021: „In dieser Mixtur klingen die großartigen Stücke Purcells ebenso neu wie die selten gespielten Lieder der Beatles. Das gleicht einer musikalischen Überraschungsreise, die im Bekannten immer neue Details aufblitzen lässt und Gemeinsamkeiten entpuppt, die man zwischen den Werken Purcells und der Beatles wohl so nicht erwartet hätte.“
Manche dieser CDs nennt auch Wolfgang Katschner selbst auf die Frage, welche Projekte für ihn im Rückblick am interessantesten seien. Bei der Vorbereitung des Jubiläums, beim Sichten alter Fotos und Aufnahmen sei ihm klar geworden, dass vieles über die Jahre doch gleichgeblieben sei, vor allem die Klangvorstellung und die Idee, wie man Programme zusammenstellt.
Kein Wunder, dass von Ruhestand bei ihm und der Lautten Compagney noch lange nicht die Rede ist. „Wir wollen noch eine ganze Weile so weitermachen“, sagt er. Seit dem letzten Jahr gibt es zwei neue Konzertreihen in Berlin: „Musical Belongings“ und „ABGESTAUBT!“. Unter letzterem Titel erwarten das Publikum musikalische Expeditionen in die Archive der Staatsbibliothek zu Berlin, unter ersterem begibt man sich im Humboldt-Forum auf die Suche nach einer transkulturellen Musikpraxis. Man bereitet ein zeitgenössisches Singspiel auf einen Goethe-Text vor, die Zusammenarbeit mit Rolando Villazón soll ebenso weitergehen wie die mit dem Countertenor Reginald Mobley. Es ist also noch einiges zu erwarten, vorausgesetzt, die immer bedrohlicher werdende Finanzierungssituation verhindert solche Projekte nicht. Gerade hat Claudia Roth ja den Musikfonds innerhalb der Förderfonds des Bundes um die Hälfte gekürzt, obwohl ihr Haushalt insgesamt sogar leicht gewachsen ist. Hoffentlich ist da das letzte Wort noch nicht gesprochen, denn es sind Ensembles wie die Lautten Compagney, die dafür sorgen, dass die Szene mit immer neuen Ideen lebendig bleibt.