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Interview

Sieben Liter in der Lunge

Siegfried Jung über die Schönheiten der Tuba und die Schwierigkeiten, mit denen das „Instrument des Jahres“ noch immer zu kämpfen hat
Von
Arnt Cobbers
Foto: Marcel Goetz

Elf Jahre wollte die Jury nicht mehr warten – und kürte die Tuba schon jetzt zum „Instrument des Jahres“. Dabei kann sie 2035 einen runden Geburtstag feiern: 1835 erfanden der Komponist und Dirigent Wilhelm Wieprecht und die Instrumentenbauer Gottfried und Carl Wilhelm Moritz in Berlin die „Basstuba in F“. Ursprünglich für die Militärmusik entwickelt, ist sie längst in Klassik, Jazz und Volksmusik gleichermaßen unverzichtbar – und steht doch immer noch im tiefen Schatten der anderen Orchesterinstrumente. Das zu ändern hat sich Siegfried Jung vorgenommen. Seit 1999 ist er Tubist im Orchester des Nationaltheaters Mannheim, spielt immer mal wieder im Bayreuther Festspielorchester und ist einer der wenigen, die die Tuba auch solistisch im Konzert und auf CD präsentieren und das Repertoire durch Kompositionsaufträge erweitern. Gerade ist sein viertes Album erschienen, „Porteño“, mit Musik aus Südamerika für Tuba und Klavier oder Harfe.

Herr Jung, was ist eine Tuba?

Eine Tuba ist ein Blechblasinstrument aus Messing, das es in unterschiedlichen Stimmungen gibt. In Deutschland wird traditionell F- und B-Stimmung gespielt. Das ist auch bei Orchesterprobespielen gesetzt. In Amerika und einigen europäischen Ländern wird vermehrt die C-Tuba gespielt, und vor allem in England die Es-Tuba. F- und Es-Tuben sind Basstuben, die C- und die B-Tuba Kontrabasstuben. Die Kontrabasstuben sind länger und haben vier Ventile. Die Basstuben haben mindestens fünf Ventile, mit denen der Luftkanal so verlängert wird, dass man überhaupt bis in die Kontralage hinunter kommt.

Und als Orchestermusiker muss man beide spielen?

Man muss beide spielen. Bei Mahler oder Bruckner hat man auch mal zwei Instrumente auf der Bühne. Die sehr hohen Lagen sind auf der Kontra­basstuba in B sehr riskant. Manche Kollegen nehmen die C-Tuba für alles, aber die hat einen anderen Klang – ein geschultes Ohr hört das. Und dann gibt es noch die Doppeltuben von der Firma Alexander in Mainz, die sind gleichzeitig in F und in B gestimmt. Und da wir gerade dabei sind: Ich spiele eine Tuba von Buffet Crampon mit einem Quintventil, damit verlängere ich die Luftröhre und schalte das Instrument quasi um eine Quint tiefer, was den Vorteil hat, dass ich in der tiefen Lage weniger Ventile auf einmal drücken muss für bestimmte Töne. Und das wirkt sich auf den Widerstand im Instrument aus. Je mehr Ventile Sie drücken, umso schwerer wird es in der tiefen Lage.

Braucht man für die Tuba viel Kraft?

Nein, das sieht nur so aus. Natürlich ist ein großes Lungenvolumen von Vorteil, ich beispielsweise habe zirka sieben Liter Lungenvolumen – und kann deshalb auf der Kontrabasstuba in den Solostellen bei Wagner durchspielen, wo fast alle anderen atmen müssen. Aber auch da ist die Blastechnik entscheidend. Wenn ich nicht weiß, wie mit meiner Luft umzugehen, kann ich noch so viel Lungenvolumen haben, dann verschwende ich Luft. Das ist eine der wichtigsten Sachen, die man im Musikstudium lernt: Wie man die Luft, die man hat, so effektiv wie möglich einsetzt.

Wie haben Sie Ihr Lungenvolumen gemessen? Und ist das angeboren oder kann man daran arbeiten?

Ich glaube, man kann daran arbeiten. Schwimmer trainieren das ja. Bei mir wurde das in der Schule im Physikunterricht festgestellt. Da haben wir so eine Apparatur aufgebaut mit einer Glocke, und dann hat man durch einen Röhrchen reingepustet. Ich hab das vor ein paar Jahren nachbauen lassen und den Versuch mitgefilmt, das finden Sie auf YouTube. Da kam ich auf sechseinhalb Liter. Wir haben das mehrmals gemacht. Es ist tagesformabhängig, aber sechseinhalb bis sieben Liter ist bei mir normal.

Wie kommt man überhaupt zur Tuba?

Meist, weil sich in der Blaskapelle niemand sonst für die Tuba interessiert. So war es bei mir auch. Ich hab mit acht mit der Trompete angefangen im Dorfmusikverein, und als ich mit zwölf ins große Blasorchester wechseln sollte, wurde ich gefragt, weil ich schon so aussah, als könnte ich das, ob ich mir auch Tuba vorstellen könnte. Ich hab’s ausprobiert, und es hat auch klanglich sofort geklappt. Mit 14 hab ich mich dann auf Empfehlung beim Landesjugendorchester Rheinland-Pfalz beworben – ohne dass ich jemals Unterricht gehabt hatte. Dann hatte ich natürlich Unterricht und hab gewechselt von der Kontrabass- zur Basstuba – in der Blaskapelle spielt man meist Kontrabasstuba. Mit 16 bin ich zu meinem späteren Professor zum Privatunterricht gefahren, mit 18 habe ich das Studium begonnen, und mit 20 hatte ich meine Stelle am Nationaltheater Mannheim. Das ging recht schnell. Aber ich war auch sehr fokussiert. Ich will nicht sagen, dass ich viel geübt habe. Bei mir müssen sich die Dinge entwickeln, das geht über das Gefühl, die Emotionen und nicht vor allem über den Kopf. Aber ich habe intensiv gearbeitet.

Sind Sie denn im Orchester ausgelastet und gefordert?

Es kommt aufs Repertoire an. Um eine Stelle zu bekommen, müssen wir grundsätzlich auch ein Solo-Stück vorspielen. Als ich mein Probespiel gemacht habe, wurde vermehrt Wert gelegt auf die Orchesterstellen mit der Kontrabasstuba. Erst in zweiter Linie auf die Virtuosität auf der Basstuba. Weil man festgestellt hatte, dass viele Leute virtuos spielen können, aber bei den Orchesterstellen nicht punkten. Im Orchester ist man kein Solist, auch der Tarifvertrag sieht den Titel „Solo“ nicht vor. Man ist zwar allein, aber man ist kein Solo-Bläser. Ob man gefordert wird, hängt vom Orchester ab und vom Repertoire. Als ich in Mannheim anfing, hatten wir den kompletten „Ring“, die anderen Wagner- und einige Strauss-Opern auf dem Programm. Innerhalb einer Spielzeit war ich mit 45 verschiedenen Opern dabei. Das gibt es heute so nicht mehr, dafür fehlt den meisten Häusern schlicht das Sängerensemble.

Sind Sie denn wirklich gefordert, oder müssen Sie vor allem lange Basstöne spielen und Pausen zählen?

Es gibt natürlich Stücke, wo man vor allem für den Basston im Akkord zuständig ist. Aber es gibt auch sehr fordernde Stücke, wenn ich an Bergs „Lulu“ denke, die habe ich in meiner ersten Saison gespielt, die ist sehr anspruchsvoll. Im „Wozzeck“ gibt es eine große Solo-Bühnenmusik, die wird auch oft im Probespiel verlangt. Immer dran kommt das „Meistersinger“-Vorspiel. Das ist kein richtiges Solo, das ist eine Klangfarbe zu den Kontrabässen, mit denen man unisono spielt, aber man wird gehört. Dann das Solo aus der ersten Sinfonie von Mahler, dritter Satz, der Bruder Jakob, das ist technisch nicht herausfordernd, das ist eine Melodie mit gehaltenen Tönen, aber da kommt es auf den Klang und die Gestaltung an. Das sind so die Basstuba-Soli. Bei der Kontrabasstuba ist es allen voran der „Siegfried“, also meine Oper, das Vorspiel zum zweiten Akt. Da stellt die Tuba den Wurm dar. Das ist ein sehr großes Solo, das man immer wieder üben muss, weil es da eben um die Gestaltung im Klang geht, und man braucht unglaublich viel Luft auf der Kontrabasstuba. Da gibt es Stellen, wo ich mit meinem Lungenvolumen vier Takte durchziehen kann, fast alle anderen müssen nach zwei Takten atmen.

Und worauf freuen Sie sich noch?

Alle Bruckner- und Mahler-Symphonien sind toll auf der Kontrabasstuba zu spielen. Dann „Die Planeten“ von Holst, die „Alpensinfonie“, da sind sogar zwei Tuben dabei, auch beim „Sacre“, da spielt einer Bass- und der andere Kontrabasstuba. Die ganz großen Orchester und Opernhäuser haben zwei feste Tubisten, bei den meisten Orchestern kommt ein zweiter als Gast dazu. Was noch schön zu spielen ist, ist die „Symphonie phantastique“. Das sind eigentlich zwei Ophikleiden, das ist der Vorläufer der Tuba, ein Klappeninstrument, ein bisschen wie ein Baritonsaxophon. Das spiele ich nicht, aber ich habe eine Ventil­ophikleide, und die imitiert sozusagen den Klang.

Ist das Ihre Spezialität?

Das wird nicht erwartet vom Tubisten. Aber es steht in der Partitur. Und wenn der Dirigent sagt, das gefällt mir, dann packt man seine Ophikleide aus. Da bekommt das Stück einen anderen Charakter. Je größer der Schallbecher, desto voluminöser der Klang. Der Schallbecher der Ophi­kleide ist viel kleiner. Es gibt übrigens auch bei der Tuba unterschiedliche Größen, von der Dreiviertel- bis zur Sechsvierteltuba. Aber eine Sechsviertel-Kontrabasstuba, das ist ein Riesen-Tier. Die hat man dann auf dem Schoß und da muss man erst mal einen Klang drauf produzieren.

Ist es Ihre freie Entscheidung, welches Instrument Sie wählen?

Wenn es in den Noten steht, muss man sich dran halten. Wobei ich bei der „Elektra“ eine eigene Theorie habe. Da steht „Kontrabasstuba“ über der Stimme. Aber Richard Strauss setzt auch die Wagner-Tuben ein, die nennt er Tenor- und Basstuba. Er hatte also gar keine andere Wahl, als über unsere Stimme Kontrabasstuba zu schreiben. Aber das alles auf der Kontrabasstuba zu spielen, halte ich für vielleicht schon grob fahrlässig. Das ist alles spielbar, aber schön wird es nicht unbedingt. Da wechsle ich im Orchestergraben, die hohen Solo-Stellen spiele ich auf der Basstuba, die tiefen fetten Töne auf der Kontrabasstuba. Richard Wagner hat auch genau angegeben, was er haben möchte. „Die Feen“ sind sogar noch für Serpent geschrieben, das war der Vor-Vorgänger, „Das Liebesverbot“ und „Rienzi“ sind zur Zeit der Ophikleiden entstanden, und dann kam erst die richtige Tuba. „Der Ring“ ist komplett vorgeschrieben für Kontrabasstuba. Auch weil er da die Wagner-Tuben, die für ihn entwickelt worden waren, einsetzen konnte, das sind Tenor- und Basstuben. Im Singular heißt es übrigens Wagner-Tube mit e, das ist ein Horn, keine Tuba, hat auch ein Hornmundstück und wird von den Hornisten gespielt.

Was ist denn der Reiz, Tuba zu spielen?

Der Klang! Und wir haben einen großen Tonumfang, ich komme vom Subkontra-B bis zum zweigestrichenen f, an guten Tagen treffe ich auch das c3. Wir haben, wegen der Verwandtschaft zum Horn, sehr viele Farben zur Verfügung im Vergleich zu den zylindrisch gebauten Instrumenten wie Trompete und Posaune. Und Effekte wie Multiphonics können wir auch spielen. Wie gesagt, man spielt Tuba nicht mit viel Kraft. Auf die Luftführung kommt es an. Und wir spielen im Vergleich zu allen anderen Blechblasinstrumenten mit dem wenigsten Druck. Je größer das Mundstück und die Bohrung, desto weniger Druck braucht man.

Die Tuba ist also das gesündeste Blasinstrument?

Definitiv!

Sie spielen auch immer wieder als Gast in anderen Orchestern.

Wenn man sich einmal etabliert hat und in einem anderen Orchester einer krank wird, dann wird man angerufen, das ist gang und gäbe. Ich hab sogar noch im BR-Symphonieorchester unter Lorin Maazel gespielt, die Erste und die Dritte Mahler in seinem Abschiedszyklus, das war ein großes Erlebnis, ebenso die „Bilder einer Ausstellung“ mit den Münchner Philharmonikern. Das „Bydlo“-Solo spielen übrigens viele Tubisten nicht selbst, sondern lassen es die Posaunenkollegen mit dem Euphonium spielen, also mit der Tenortuba. Das ist in der Tat vom Melodieverlauf her hochanspruchsvoll auf der Basstuba. Aber ich verstehe mich als Tuba-Solist, das muss ich können!

Und wenn Mozart, Beethoven, Rossini auf dem Spielplan steht, haben Sie frei?

Die kannten das Instrument ja alle noch nicht, dann habe ich frei. Dafür spiele ich in jeder Produktion, bei der ich dabei bin, alle Proben und Vorstellungen, so gleicht sich das aus. Das tut sonst kein anderer Bläser oder Streicher. Ich hab nicht weniger zu tun als die Kollegen.

Und trotzdem drängt es Sie noch zum Solistendasein.

Das ist eine schöne Ergänzung zum Orchesterspiel. Ich habe jetzt ein fes­tes Duo mit Klavier, das Duo Compagni mit Susanne Endres, das gibt es so in Deutschland sonst gar nicht. Und ich spiele viel mit Harfe, mit meiner Frau, Johanna Jung.

Gibt es interessantes Repertoire?

Wir spielen natürlich viel Barockmusik in Arrangements. An Originalwerken spiele ich nur, was mir wirklich gefällt. Die ganz großen Namen haben leider nicht für die Tuba geschrieben, der Bekannteste, der ein Tubakonzert geschrieben hat, ist sicherlich Ralph Vaughan Williams. Und mit Klavier gibt es eine Sonate von Hindemith, die ist wirklich fantastisch – wenn man sie gut und schön gestaltet! Das Repertoire ist schon sehr gewachsen in den letzten zehn, zwanzig Jahren. Und ich gebe seit einigen Jahren Werke in Auftrag. Für mein neues Album „Porteño“ bin ich jetzt wieder neue Wege gegangen mit Werken von Gerardo Gardelin aus Argentinien. Weil mir diese südamerikanische Musik einfach wahnsinnig gut gefällt. Da sind die Emotionen hautnah spürbar. Gerade das Duo mit der Harfe ist herausfordernd, weil die Harfe ein sehr feines Instrument ist und klanglich irgendwann ans Limit stößt. Da muss ich mich mit der Tuba anpassen, während ich mit Klavier aus dem Vollen schöpfen kann.

Freuen sich die Veranstalter, wenn Sie sich als Tuba-Solist anbieten?

Mit dem Duo Compagni, also mit Tuba und Klavier, geben wir in diesem Jahr viele Konzerte, darüber bin ich sehr glücklich. Tuba mit Orchester ist gerade in Deutschland ganz schwierig, das gibt es kaum. In Osteuropa sind die Veranstalter offener. Ich hab in St. Petersburg gespielt, in Sofia, viel in Rumänien, und mein persönliches Highlight war, im Wiener Musikverein zu spielen, im Brahmssaal mit dem Orchester Wiener Concert-Verein. Das hat mir tatsächlich die Tore zu anderen Engagements geöffnet. Aber es ist immer noch schwer. Beim ARD-Wettbewerb ist die Tuba bis heute nicht als Soloinstrument zugelassen! Man muss selbst etwas organisieren, sonst passiert oft nichts. Sogar jetzt im Jahr der Tuba ist es schwierig. Ich hab Konzerte angeboten, ich hab Workshops angeboten, fast alles scheitert an den Finanzen – obwohl ich das selbst zum Nulltarif machen würde!

Sie sind bis heute auch der nichtklassischen Blasmusik treu geblieben.

Ich spiele seit 2001 bei den Egerländer Musikanten, dem Original von Ernst Mosch. Ich hatte das große Glück, hier in Mannheim im Rosengarten 1998 ein Konzert seiner Abschiedstournee zu hören. Leider hatte ich nicht mehr das Vergnügen, unter ihm zu spielen, er ist ein Jahr später gestorben. Aber mehr als die Hälfte sind Musikanten, die noch unter ihm gespielt haben und die dieses Feuer weiter tragen und mit ihrer Erfahrung dem Orchester die Seele geben. Es gibt ja inzwischen viele Egerländer Blasorchester, aber das ist das Original.

Und da haben Sie auch einen gefüllten Konzertkalender?

Vor Corona waren es 60, 70 Konzerte pro Jahr. Das kommt jetzt langsam wieder. Aber ich spiele nur einige Konzerte, wir sind mehrere Tubisten, die sich abwechseln. Und da sitzen nicht nur Weißhaarige im Publikum! Natürlich sind wir vor allem in Süddeutschland, in Österreich und Südtirol unterwegs, wo man mit der Trompete im Mund aufwächst.

Kommt da auch noch der klassische Nachwuchs her?

Nach wie vor. Zur Tuba kommt man noch immer über die Blaskapelle. Und inzwischen gibt es auch viele Frauen, da ist viel passiert. Die Tuba ist keine Männer-Domäne mehr.