FONO FORUM Gesperrter Artikel Icon
Musikgeschichte
Ein perfekter und rarer Virtuose
Durch seinen Kanon zählt Johann Pachelbel zu den wenigen Barockkomponisten, deren Musik jeder im Ohr hat. Doch der Nürnberger hat viel mehr zu bieten als diesen einen Hit
Von
Klemens Hippel

Er starb endlich 1706 den 3. März an einem Mittwochen, unter dem leisen Singen seines Leib-Liedes ‚Herr Jesu Christ, meines Lebens Licht‘ im 53. Jahr seines Alters.“ So schreibt Johann Mattheson 1740 in seiner „Musikalischen Ehrenpforte“, und der umfangreiche Eintrag, den er Johann Pachelbel dort widmet, zeigt das hohe Ansehen, das der Organist der Nürnberger Sebalduskirche genoss. Sein bemerkenswerter Lebenslauf begann schon mit einer Besonderheit: Getauft wurde Pachelbel am 1. September 1653 als Hanns Pachelbel in Nürnberg. Das war allerdings eine protestantische Stadt, die erst im Jahr 1700 zum gregorianischen Kalender wechselte – in den katholischen Landen um Nürnberg herum schrieb man an diesem Tag bereits den 11. September.

Pachelbels Eltern ermöglichten dem Sohn, dessen Talent sich früh zeigte, eine gute Ausbildung: Neben dem Besuch der Lateinschule lernte er beim Chordirektor der Nürnberger Frauenkirche, Heinrich Schwemmer, das musikalische Handwerk. Ob er daneben auch Unterricht bei Georg Caspar Wecker, seinerzeit Organist an der Ägidien-Kirche, erhielt, ist wie vieles in Pachelbels Biografie unklar. Sicher ist, dass er 1669 mit 15 Jahren zum Studium zunächst nach Altdorf ging, wo er am 29. Juni im Matrikelverzeichnis eingetragen wurde. Allerdings zeigte sich bald, dass sein Geld fürs Studium nicht reichte, trotz Organistentätigkeit nebenbei. Über Regensburg, wo er 1670-73 das Gymnasium poeticum besuchte, wechselte Pachelbel 1673 nach Wien, wo er im Umfeld des Komponisten Johann Kaspar Kerll mehrere Jahre verbrachte. Ob der Protestant im katholischen Wien aber tatsächlich offiziell als Organist tätig war, wie Mattheson und Johann Gabriel Doppelmayrs Lexikon der Nürnberger Mathematiker und Künstler von 1730 behauptet, ist nicht belegt. Wie unsicher manche Überlieferung ist, sieht man nicht zuletzt darin, dass Johann Walther 1732 in sein musikalisches Lexikon aus Versehen gleich zwei Pachelbels mit ähnlichem Lebenslauf, aber verschiedenen Lebensdaten aufnahm.

1677 wurde Pachelbel Hoforganist in Eisenach. Hier begann der Kontakt, der seinen Namen früh in den Fokus der Musikhistoriker brachte: In Eisenach war Johann Ambrosius Bach, der Vater Johann Sebastian Bachs, als Stadtpfeifer tätig, und Pachelbel war 1680 Taufpate von Bachs Tochter, obwohl er da bereits wieder weitergezogen war: In Erfurt amtierte er seit 1678 als Organist an der Predigerkirche. In seinem Empfehlungsschreiben hatte ihn sein Eisenacher Kollege Daniel Eberlin als „perfekten und raren Virtuosen“ beschrieben. Aus dieser Zeit stammen auch seine ersten sicher datierbaren Kompositionen, denn zur Erfurter Erbhuldigung schrieb Pachelbel 1679 „So ist denn diß der Tag“ und „So ist denn nun die Treu“. Auch sein berühmter Kanon wird gelegentlich auf die Zeit um 1680 datiert, andere wollen lieber 1694 annehmen, als Pachelbels Schüler Johann Christoph Bach heiratete, Johann Sebastians älterer Bruder, bei dem Johann Sebastian nach dem Tod seines Vaters lebte und der ihn unterrichtete. Aber tatsächlich weiß niemand, wann das Stück geschrieben wurde.

1681 heiratete Pachelbel in der Predigerkirche die Tochter eines Erfurter Ratsmeisters, doch Pachelbels erste Frau starb wie der gemeinsame Sohn bereits 1683 an der Pest, die damals in Erfurt wütete – ihr fielen mehr als die Hälfte der gut 16.000 Einwohner zum Opfer. Mit seiner zweiten Frau, die er 1684 heiratete, hatte Pachelbel sieben weitere Kinder, von denen gleich drei bemerkenswert sind: Seine Tochter Amalie (1688-1723) brachte es als Malerin zu so großer Bekanntheit, dass Doppelmayr sie in sein Lexikon der Nürnberger Mathematiker und Künstler aufnahm. Pachelbels Sohn Wilhelm Hieronymus (1686-1764) wurde wie sein Vater Musiker, er wirkte als Organist in Fürth und Nürnberg, wo er 1719 Organist an St. Sebaldus wurde. Und auch Charles Theodore Pachelbel (1690-1750) war Organist; er emigrierte 1733 nach Amerika – ein früher Auswanderer, wenn man bedenkt, dass die ersten deutschen Auswanderer 1683 von Krefeld aus aufgebrochen waren. Der amerikanische Pachelbel arbeitete zunächst in Rhode Island und gab Konzerte in New York, 1736 zog er nach South Carolina, wo er kurz vor seinem Tod noch eine Gesangsschule eröffnen wollte.

Pachelbels Stelle in Erfurt war so gut dotiert, dass er sich ein eigenes Haus leisten konnte. Trotzdem zog es ihn 1690 an den württembergischen Hof, wo er Organist der Herzogin Magdalena Sibylla wurde – „Gottesfurcht, Ehr- und Redlichkeit“ hatte ihm seine Erfurter Kirche damals attestiert, die ihn nur ungern nach Stuttgart ziehen ließ. „Da wäre er nun gewiss beständig geblieben; wenn er nicht samt allen Einwohnern von den Franzosen verjaget worden, und, zu seinem empfindlichen Schaden, das Seine mit dem Rücken hätte ansehen müssen“, schreibt Mattheson zum Pfälzischen Erbfolgekrieg, in den Pachelbel durch seinen Umzug hineingeriet. Er ging 1692 nach Gotha, obwohl er auch ein Angebot aus Oxford bekommen hatte. Ein Beleg, wie bekannt und angesehen Pachelbel seinerzeit war. Das zeigte sich erneut, als er 1695 in seine Heimatstadt Nürnberg zurückkehrte, um Organist an der St.-Sebald-Kirche zu werden: Man berief ihn unter Verzicht auf das eigentlich übliche Probespiel.

Nachdem Pachelbel bereits 1683 in Erfurt seine „Musicalischen Sterbens-Gedancken“ in Druck gegeben hatte und 1693 seine „Acht Choräle zum Präambulieren“ erschienen waren, ließ er in Nürnberg weitere Kompositionen drucken: 1695 eine „Musicalische Ergötzung bestehend in 6 verstimten Partiten“ (bei denen natürlich nicht die Partiten verstimmt sind, sondern die Violinen, die in sechs verschiedenen Scordaturen zu spielen haben), 1699 das Dietrich Buxtehude gewidmete „Hexachordum Apollinis“. 1704 kündigte Pachelbel noch eine Sammlung von Fugen und Vorspielen an, die aber nicht mehr erschienen. Pachelbel wurde am 9. März auf dem Rochusfriedhof der Gemeinde St. Lorenz beerdigt.

Pachelbels umfangreiches Werk geriet nicht zuletzt durch seine Verbindung mit der Bachfamilie nie ganz in Vergessenheit. Mit seinen 1683 entstandenen Klaviersuiten war er einer der ersten deutschen Komponisten gewesen, die solche Werke komponierten; dabei lassen die 17 verschiedenen Tonarten, in denen die 21 Suiten stehen, annehmen, dass Pachelbel mit den gerade aufkommenden wohltemperierten Stimmungen experimentierte. Und sein geistliches Konzert „Christ lag in Todesbanden“ gilt als Vorbild für Johann Sebastian Bachs gleichnamige Kantate. Bereits 1839 wurden einige von Pachelbels Orgelwerken veröffentlicht, 1901 und 1903 folgten Klavier- und weitere Orgelwerke. In jüngerer Zeit hat man die Aufmerksamkeit mehr auf seine zahlreichen Vokalkompositionen gerichtet, neben zwölf Motetten und 28 geistlichen Konzerten und zwei Messen auch Kompositionen für die in Nürnberg täglich stattfindenden Vesper-Gottesdienste.

Musik von ihm würden wir trotzdem nur selten hören, hätte nicht der Musikwissenschaftler Gustav Beckmann 1918/19 im ersten Jahrgang der Reihe „Archiv für Musikwissenschaft“ einen Aufsatz „Pachelbel als Kammerkomponist“ veröffentlicht, in dem er erstmals den heute berühmten Kanon veröffentlichte. Als Quelle gab Beckmann ein inzwischen leider verschollenes Manuskript aus der Bibliothek des Berliner Instituts für Kirchenmusik an; die älteste erhaltene Quelle ist eine Abschrift, die wohl um 1840 von diesem Manuskript erstellt wurde. Der Titel des Werks lautete laut Beckmann „Canon a 3 Violinis con suo Basso (nebst folgender) Gigue“, und für den Basso ist ein Cembalo vorgesehen! Wer es ungefähr in dieser Form hören möchte, kann das in den Aufnahmen von London baroque (1995) oder mit Trevor Pinnock (1985) tun. Dieser wissenschaftlichen Edition folgte zehn Jahre später Max Seiffert mit einer Ausgabe, die im Stile der Zeit mit vielen heute absurd anmutenden Vortragsbezeichnungen aufwartete. Berühmt und einflussreich wurde das Werk aber erst in der Fassung, in der Jean-FranÇois Paillard es 1968 aufnahm – über sieben Minuten lang, und das ohne die Gigue ... Von dort fand der so kunstvoll gearbeitete Kanon seinen Weg in die Popmusik und wurde zu einer bevorzugten Hochzeitsmusik.

Lesen Sie den gesamten Beitrag im E-Paper oder der aktuellen Printausgabe.