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Musikgeschichte
Ein Tango für die Ewigkeit
Ein weltbekanntes Stück feiert hundertsten Geburtstag. Sein Erfolg bewirkt bis heute viel Gutes
Von
Arnt Cobbers
Jacob Gade Foundation

Eines Tages las Jacob Gade von einem Eifersuchtsmord: Eine Frau hatte ihren Mann und dessen Geliebte überrascht und mit einem Jagdgewehr erschossen. Der Artikel dürfte Erinnerungen geweckt haben: Vor vielen Jahren hatte seine damalige Lebensgefährtin ihn mit einer anderen Frau erwischt und danach versucht, sich das Leben zu nehmen. Kurz nach der Zeitungslektüre wurden Gade und seine Frau beim Spaziergang durch die Felder von einem Unwetter überrascht und fast vom Blitz getroffen. Noch am selben Tag setzte er sich an seinen Arbeitstisch und schrieb eines der berühmtesten Stücke des 20. Jahrhunderts: den dramatisch mit einem Geigensolo beginnenden „Tango Jalousie“ (Eifersucht). Am 14. September 1925 wurde er vom Palast-Filmorchester zum Stummfilm „Don Q – Son of Zorro“ mit Douglas Fairbanks (sen.) uraufgeführt und schlug so ein, dass er in der Pause vor dem Vorhang wiederholt werden musste. Einen Monat später wurde er im Rundfunk gespielt, der gerade erst gegründet worden war, 1926 entstanden bereits Aufnahmen in Deutschland und den USA. 1931 kam die erste Gesangsversion mit einem englischen Text heraus, und als Arthur Fiedler und das Boston Pops Orchestra das Stück aufnahmen, gab es endgültig kein Halten mehr: Ihre Platte wurde die erste weltweit, von der mehr als eine Million Exemplare verkauft wurden. Über 1.500 verschiedene Aufnahmen sind bis heute angeblich entstanden, es gibt Versionen von Mantovani, von Caterina Valente und Plácido Domingo, und selbst Yehudi Menuhin und Stephane Grappelli haben „Tango Jalousie“ mit dem virtuosen Einstieg auf der Solovioline eingespielt – nur von Gade selbst gibt es leider keine Aufnahme.

Wo immer im Film ein Tango erklingt – die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es sich um Jacob Gades Geniestreich handelt (berühmte Beispiele sind „Schindlers Liste“ und „Tod auf dem Nil“). Mit seinen zwei raffiniert kombinierten gegensätzlichen Themen, beides absolute Ohrwürmer, seiner ungemein effektvollen Einleitung durch die Sologeige und der Eleganz in der Instrumentation und der Verarbeitung verkörpert er wie kaum ein anderes Stück die Magie des Tangos. Vor allem aber ist er eines dieser Stücke, die man, wie ein Volkslied, schon immer zu kennen meint, von denen man aber nicht weiß, wie sie heißen und von wem sie stammen. Wer bei „Tango Jalousie“ nun auf einen Argentinier tippt, liegt völlig falsch!

Die stürmische Landschaft, der wir die Inspiration zu verdanken haben, ist das sanft hügelige Norddänemark, und der Komponist Jacob Gade war ein echter Jütländer und Leiter jenes Filmpalastorchesters in Kopenhagen, mit dem er seinen Welterfolg 1925 – er spielte selbst die Sologeige – uraufführte. Vielleicht war es besser für den Siegeszug des Stückes, dass man seine Geschichte nicht kannte, denn „Tango Jalousie“ evoziert alle möglichen Stimmungen und Bilder, nur dänische Hygge passt wirklich nicht dazu. Im Englischen heißt dieser „Tango Tzigane“, so der Untertitel, denn auch „Jealousy“, im Spanischen „Gelosia“, und Adriano Celentano singt ihn unter demselben Titel, als wär’s ein italienisches Original.

Jacob Gade dürfte das nicht weiter gestört haben. Wichtiger war ihm sicherlich, dass er mit diesem einen Hit sehr wohlhabend wurde – und gegen Ende seines Lebens eine Stiftung gründen konnte, die bis heute Gutes tut für die dänische Musiklandschaft. 1956 setzte Gade sein Testament auf, in dem er seine drei Kinder und seine Haushälterin mit Einmalzahlungen bedachte und den Rest in eine Stiftung gab, die junge dänische Musiker fördert. 1963 starb Gade mit 83 Jahren, ein Jahr später wurden die ersten Stipendien ausgezahlt. Gades Legat folgend, dass die Empfänger unter 23 Jahre alt sein sollten, wurden anfangs aufstrebende Studenten gefördert, darunter heute namhafte Leute wie Michala Petri, Michael Schönwandt, Lars Ulrik Mortensen, Thomas Dausgaard, Nikolai Szeps-Znaider oder auch das Danish String Quartet. Inzwischen fördert die Gade-Stiftung aber auch Talente von 13 oder 14 Jahren, um ihnen den Weg ins Profimusikerleben zu ermöglichen. Darüber hinaus bietet ihnen die Stiftung Kurse, Workshops, Wettbewerbe und immer wieder die Möglichkeit, sich in Konzerten zu präsentieren, oft zusammen mit bekannten Kollegen – vor „normalem“ Publikum, aber auch dezidiert vor Gleichaltrigen, die man dadurch fürs Musikmachen motivieren möchte.

Zweites Standbein der Stiftung, in die bis heute alle Tantiemen für „Tango Jalousie“ fließen, sind fünf Immobilien, drei in Kopenhagen, je eine in Aarhus und Odense, in denen rund 160 Musikstudenten für wenig Miete drei bis fünf Jahre wohnen und zum Teil in gemeinschaftlichen Überäumen arbeiten können.

Dass Jacob Gade sein Erbe bedürftigen angehenden Musikern zur Verfügung stellte, hat natürlich seinen Grund: Es ist seine Biografie, die sich wie ein Roman liest. 1879 geboren, wuchs er in der jütländischen Kleinstadt Vejle auf, als Sohn eines Fiedlers und Instrumentenhändlers, lernte früh Trompete und Geige und spielte schon als Grundschüler in der Kapelle seines Vaters auf Hochzeiten und anderen Festen. Trinkfest und Zigarrenraucher war er anscheinend schon mit zehn Jahren – eine „grausame Kultur“ nannte der alte Gade es rückblickend. Parallel spielte der talentierte Junge im Streichquartett eines Lehrers mit, und in diesem Spannungsfeld zwischen Unterhaltungs- und klassischer Musik sollte er sich sein Leben lang bewegen. 1895 brach er auf in die Hauptstadt Kopenhagen, um sich seinen Traum vom Musikerleben zu erfüllen. Der „Walzerkönig des Nordens“ wolle er werden, verkündete der 16-Jährige, als er seinen ersten Walzer, „Ma Valse permière“, einem Notenverleger präsentierte. „Ich war mir nicht bewusst, dass der Titel vielleicht etwas überheblich wirkte, denn ich fühlte mich ehrlich gesagt nicht arrogant“, erzählte er später. Der Verleger bat ihn wiederzukommen, wenn er mehr Erfahrung als Musiker gesammelt habe, und so schlug sich Gade in den ersten Jahren als Geiger in Kneipen, Konditoreien und Biergärten durch, wo überall Live-Musik gespielt wurde. Er hatte einige harte Jahre zu überstehen, ehe er schließlich als Geiger bekannt wurde, die Leitung erster Kapellen übernahm und Erfolge feiern konnte als Orchesterleiter in den Luxushotels von Kopenhagen.

1919 ging er mit seiner Frau nach New York, wo seine beiden Brüder als Arzt beziehungsweise Apotheker lebten und seine jüngere Schwester für Furore sorgte: Als erste Frau schwamm sie um Manhattan herum. (Später durchquerte Mille Gade als zweite Frau überhaupt den Ärmelkanal.) Jacob Gade wurde Mitglied im Orchester des größten Kinos der Welt, dem fünftausend Zuschauer fassenden Capitol, Orchesterleiter war Eugene Ormandy. Und gewann wenig später das Probespiel für das von Varèse begründete National Symphony Orchestra, wo er in den ersten Geigen unter Dirigenten wie Mengelberg und Damrosch und mit Solisten wie Rachmaninow, Kreisler und Casals in der Carnegie Hall auftrat. In der Sommerpause 1921 reiste er zurück nach Kopenhagen – und blieb, um das Orchester des größten dänischen Kinos, des Palasttheaters, aufzubauen und zu leiten.

Vor allem aber war er nun als Komponist erfolgreich, und als die Ära des Stummfilms zu Ende ging, beschloss Gade, nach einem kurzen erneuten Intermezzo als Hotelorchesterleiter, sich mit seiner Frau aufs Land zurückzuziehen und sich, mit Anfang fünfzig, ganz dem Komponieren zu widmen. 1939 zogen die beiden nach Thoröhuse bei Assens an der Westküste von Fünen, wo Jacob Gade 1963 im Alter von 83 Jahren, wohlhabend und in Dänemark berühmt, starb.

So ist Jacob Gade – übrigens nicht mit dem Romantiker Niels Gade verwandt – ein klassisches One-Hit-Wonder. Doch wie das mit leichthin aufgeklebten Etiketten so ist: Je genauer man hinschaut, desto häufiger sind sie schief. Zwar hat Gade, obwohl er sich als „klassischer Komponist“ verstand, nie ein größeres Werk komponiert, keine Sinfonie, kein Violinkonzert, keine Oper oder Operette. Doch seine Werkliste umfasst weit über hundert Titel, und mit einigen von ihnen feierte er beträchtliche Erfolge.

Einen schönen Überblick über das Werk Jacob Gades gibt die CD „Tango Jalousie“, die der dänische Geiger (und einstige Gade-Stipendiat) Niklas Walentin mit der erstaunlich swingenden Philharmonie Südwestfalen unter Nabil Shehata aufgenommen hat und die nun zum hundertsten Geburtstag des Titelstücks erschienen ist (beim jungen Berliner Label Decurio und mit sehr informativen Texten des Flötisten und Gade-Fachmanns Toke Lund Christiansen). Neben zwei Versionen von „Tango Jalousie“, einmal für Salonorchester, einmal für großes Symphonieorchester, erklingen mehrere „französische Walzer“ – auch mit denen war Gade ziemlich erfolgreich. Die Noten von „Douces Secrets“, veröffentlicht unter dem Komponistennamen Leon Bonnard, wurden in einer Auflage von 50.000 Stück vertrieben, und noch 1937 veröffentlichte Gade seinen „Valse russe“ mit dem Titel „Natasha“ geschäftsfördernd unter einem russisch klingenden Pseudonym.

„Hjertets Serenade“ (Serenade meines Herzens) hätte auch Franz Lehár nicht besser hinbekommen, und die „Suite d’Amour“ von 1941 beginnt – beim „ersten Treffen“ – mit einer derart betörenden Melodie, dass man nicht anders kann, als sich in das Stück selbst zu verlieben. Gade hatte ein Talent für Ohrwürmer, er wusste mit dem Instrumentarium des großen Orchesters umzugehen, aber ebenso, wie man einem kleinen Ensemble vielfältige Klangfarben entlockt. Und er hatte ein Gespür dafür, wann eine Geschichte auserzählt ist – sobald alles gesagt ist, endet das Stück.

Jacob Gade ist kein übersehener Großer, der noch zu entdecken ist. Aber er war ein echter Meister der kleinen Form, einer, der bewusst bei seinen Leisten blieb und schöne Musik zwischen Salon, Kino und Konzertsaal geschrieben hat, die es wert ist, gespielt und gehört zu werden. Insofern ist es kein Schaden, seinen Namen zu kennen.

Und nebenbei: Auch den Namen Niklas Walentin sollte man sich merken. Der 31-Jährige versucht den Spagat zwischen Solistenkarriere, Kammermusik und seiner neuen Stelle als Konzertmeister von Sönderjyllands Symfoniorkester – der Kinder wegen ist er mit seiner Familie in die Kleinstadt gezogen. Und er hat ebenso ein feines Gespür für Jazz (wie ich mich live überzeugen konnte) als auch für Salonmusik und Tango. Seine Jacob-Gade-Hommage „Tango Jalousie“, sein bereits elftes Album, ist jedenfalls sehr zu empfehlen.

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