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Franz Liszt auf der Titelseite der Zeitschrift „Der Floh“ (1869, Karl Klíč)
Unter Musikern ist es seit jeher üblich, das Revanchebedürfnis aufgrund missliebiger Kritiken auf den knappen Nenner zu bringen, dass die Kritiker eben diejenigen sind, die es aufgrund mangelnder Begabung nicht geschafft haben, professionelle Musiker zu werden.
Mag dieses Urteil früher eine Teilwahrheit gewesen sein, so ist es doch heute so, dass viele Musikkritiker nie ernsthaft in Erwägung gezogen haben, selbst Musiker zu werden. Viele kommen aus anderen geisteswissenschaftlichen Studiengängen oder sind überhaupt durch keinerlei Diplom legitimierte Quereinsteiger, die sich aus reiner Liebhaberei der Musik zugewendet haben. Vor einigen Jahren klagte mir ein Musik-Blogger sein Leid, die Pressestellen nähmen ihn nicht ernst, weil er kein professionell ausgebildeter Musikkritiker sei. Ich beruhigte ihn damit, dass die meisten Kollegen auch nicht mehr von Musik verstünden. Kaum hatte sich seine Unsicherheit gelegt, fragte niemand mehr nach seiner Qualifikation.
Früher war das anders. Als mit Johann Mattheson, Friedrich Wilhelm Marpurg, Johann Adolph Scheibe, später dann Johann Friedrich Reichardt und so weiter die ersten
Musikrezensenten vor einem breiten Kennerpublikum in Erscheinung traten, waren dies ausgebildete Fachleute ersten Ranges, ja sogar oftmals angesehene Komponisten. Allerdings verteidigten diese Herrschaften auch stets dezidierte ästhetische Standpunkte und setzten damit die Auseinandersetzungen um die Weiterentwicklung der Musik fort, wie sie in Italien und Frankreich von Musikgelehrten und Komponisten schon länger gepflegt wurden. Der Kritiker der anbrechenden klassischen Epoche betrachtete sich als Streiter für die rechte Sache und legte das ganze Gewicht seiner Kompetenz in die Waagschale, um dieser zum Sieg zu verhelfen.
In der romantischen Epoche, in der Konfrontation zwischen Konservativen (Brahminen, Leipziger und Berliner Akademikern) und „Neudeutschen“ (Vertretern der fortschrittlichen Programmmusik Liszts und Berlioz’ sowie des Wagner’schen Musikdramas), nahm die Lage an der sprachlichen Front drastischere Züge an, die Auseinandersetzungen wurden mit allen Mitteln des verbalen Giftschranks geführt – man denke nur an den aufgrund seiner suggestiven Sprachgewalt und Gelehrsamkeit bis heute zum Idol des Standes erkorenen Eduard Hanslick (der Tschaikowskys Violinkonzert als „stinkende Musik“ verdächtigte), Johannes Brahms (der Bruckners Symphonien als „Schwindel“ bezeichnete) oder Hugo Wolf (der im Gegenzug Brahms als „Überbleibsel uralter Reste und kein lebendiges Glied in dem großen Strom der Zeit“ vernichtete). Ohne all diese grotesken Attacken und Untergangsprophetien wäre es niemals zu der amüsanten Auslese gekommen, die Nicolas Slonimsky (auf Englisch) in seinem berühmten „Lexicon of Musical Invective“ zusammengetragen hat. Als hätte es weiterer Beweise bedurft: Schnelle, aber auch nachhaltige Aufmerksamkeit wird weniger durch konstruktive Berichterstattung und balancierendes Für und Wider erreicht als durch plakativen Wortwitz und subjektive Herabwürdigung.
Es gab aber auch schon das andere: den Idealismus Robert Schumanns, der sein Ansehen und schriftstellerisches Talent nicht nur dafür einsetzte, Chopin und Brahms den Weg zu bahnen, sondern überhaupt den universellen Geist von Offenheit und Gerechtigkeit zu verkünden. Es folgten weitere Komponisten, die als Kritiker Geschichte schrieben: Tschaikowsky, Debussy, Humperdinck, Dukas … und auch im 20. Jahrhundert: Dutilleux, Nordgren und so weiter. Warum sie als Tonschöpfer erfolgreicher blieben denn als Wortschöpfer, dafür mag vielleicht Oscar Wilde gute Argumente geliefert haben: „Der Satz, der Künstler sei der beste Kunstrichter, ist so falsch, dass man sagen kann: Ein großer Künstler ist außerstande, über Werke anderer und kaum über seine eigenen zu urteilen. Jene Intensität des Schauens, die einen Menschen zum Künstler macht, beschränkt schon durch ihre Stärke seine Fähigkeit zu feinerer Wertung. Gerade weil jemand etwas nicht machen kann, kann er es beurteilen. Denn das Schaffen engt den Gesichtskreis ein, während das Betrachten ihn erweitert.“
Vielleicht das Wichtigste, was wir aus dieser Problematik lernen können, ist die Erkenntnis der Notwendigkeit, unsere Unbefangenheit zu kultivieren und uns zu befreien aus dem psychologischen Dickicht von Gewohnheiten und Überzeugungen, aus der polarisierenden Konfrontation von Zu- und Abneigungen. Betriebsblindheit und persönliche Ambitionen beiseite genommen, sei doch angenommen, dass Kenntnisse nicht schaden.