
Myra Melford wuchs in Chicago auf, kam 1980 nach New York und debütierte 1990 als Leaderin eines Trios. In ihren verschiedenen Gruppen und Ensembles verbindet sie virtuos die verschiedensten Stile und Genres des Jazz und der Neuen Musik. Vor wenigen Monaten trat sie erstmals mit eigenem Ensemble im Berliner Boulez-Saal auf. 2022 erschien das erste Album ihres neu gegründeten Fire and Water Quintets, im November dieses Jahres folgte „Hear The Light Singing“.
Myra Melford, Sie unterrichten seit 2004 an der Universität in Berkley, Kalifornien Komposition und Improvisation. In diesem Jahr werden Sie 67. Denken Sie manchmal ans Aufhören?
Ich werde tatsächlich meine Lehrtätigkeit beenden, aber als Musikerin denke ich nicht daran, aufzuhören. Einer meiner Lehrer und großen Vorbilder, Henry Threadgill, wird in diesem Jahr 80, tritt auf und schreibt große Kompositionsaufträge. Marshall Allen vom Sun Ra Arkestra wird 100. Da ist also noch viel möglich.
Ihr neues Album „Hear The Light Singing“ ist im Grunde eine Fortsetzung des Vorgänger-Albums „For the Love of Fire and Water“, einer Improvisation über eine zehnteilige Serie von Zeichnungen Cy Twomblys, die in seinem Haus in Gaeta, Italien, entstanden sind und sich im Museum Brandhorst in München befinden. Was hat sich verändert?
Das neue Album bezieht sich auf dieselben Zeichnungen, doch habe ich für das erste Album eine Art Anleitung für sehr offene Improvisationen zu den Zeichnungen geschrieben. Das neue Album enthält mehr komponierte Abschnitte. Eigentlich bilden beide Aufnahmen eine einzige lange Suite. Aber da das erste Album bereits veröffentlicht war, bezeichne ich das neue Material als eigenständige Suite.
Werden die Zeichnungen bei den Konzerten projiziert, oder steht die Musik für sich?
Das wurde bisher nur in einem Konzert in Mantua gemacht. Ich habe genaue Vorstellungen davon, wie das aussehen müsste, und das ist technisch nicht überall möglich. Ich fürchte, wenn ich einfach so ein Bild zeige, versucht das Publikum, eine Entsprechung zwischen dem Gesehenen und dem Gehörten herzustellen. Aber so arbeite ich nicht. Meine Musik ist keine Übersetzung der Zeichnung, ich sehe sie als Antwort, als eine Art Dialog. Ich möchte dem Publikum nicht meine Interpretation vorschreiben.
Was hat Sie gerade an dieser Serie von Zeichnungen von Twombly fasziniert?
Gerade schreibe ich Musik zu vielen seiner Kunstwerke, nicht nur zu dieser Serie. Aber es gibt mehrere Dinge, die ich daran faszinierend finde. Der Titel ist sehr poetisch, und ich liebe die Energie der Zeichnungen. Darauf habe ich sofort reagiert, als spürbare kinästhetische Reaktion, die mich dazu bringt, Klavier zu spielen und Musik zu schreiben. Mir gefiel auch, dass die Serie sehr abstrakt ist und sich mit den Elementen Feuer und Wasser auseinandersetzt, die viele verschiedene Eigenschaften haben. Sie können zerstörerisch sein, aber auch ruhig und sogar tröstlich. Diese verschiedenen Aspekte wollte ich durch meine Musik erforschen.
Für dieses Projekt haben Sie ein neues Quintett gegründet, das ausschließlich aus Instrumentalistinnen besteht. Wie kam es dazu?
John Zorn hatte mich eingeladen, Konzerte in seinem Club The Stone in New York zu geben, fünf Abende hintereinander mit jeweils einem anderen Ensemble. An vier Abenden präsentierte ich bereits bestehende Projekte, für den letzten hatte ich mir eine freie Improvisationsnacht vorgestellt. Als der Termin näher rückte, lud ich Musikerinnen ein, die ich sehr schätze, wie Ingrid Laubrock, Mary Halvorson, Tomeika Reid und Susie Ibarra, und hatte ein paar Skizzen zu der Twombly-Serie dabei. Wir spielten, und es war geradezu magisch.
Spüren Sie einen Unterschied, wenn Sie mit einem reinen Frauenensemble spielen?
Die Musik selbst klingt nicht anders, doch ich mag einfach die Idee, nur mit Frauen zu spielen, denn oft war ich die einzige Frau in der Band. Jetzt gibt es so viele Frauen in der Szene, das wollte ich ein Stück weit abbilden, auch generationenübergreifend. Ich habe ja, neben anderen Projekten, bereits zwei reine Instrumentalistinnen-Trios: das Tiger-Trio mit Joëlle Léandre und Nicole Mitchell und ein Trio mit Miya Masaoka und Zeena Parkins.