
Ein Kammermusikensemble ist wie eine Familie: Man verbringt viel Zeit miteinander, muss die verschiedenen Bedürfnisse berücksichtigen, sich bei Meinungsverschiedenheiten einigen, Kompromisse finden, mit denen alle leben können. Und persönliche Befindlichkeiten beiseiteschieben, wenn es gilt, auf dem Konzertpodium zu vollkommener Übereinstimmung zu gelangen. Manche Ensembles schaffen deswegen im Alltag bewusst Distanz – wie das LaSalle-Quartett, dessen Mitglieder bei Tourneen in verschiedenen Hoteletagen logierten, um den kleinsten Anlass für Verstimmungen zu vermeiden. Das Trio con Brio tut das Gegenteil. Obwohl oder gerade weil die Familienbande in diesem Fall nicht nur ein Bild, sondern real sind, gleich im doppelten Sinne: Die Geigerin Soo-Jin und die Cellistin Soo-Kyung Hong sind Schwestern, Soo-Kyung ist zudem mit dem Pianisten Jens Elvekjaer verheiratet. Die Familien wohnen in Kopenhagen in unmittelbarer Nachbarschaft, die Töchter, fast gleichaltrig, wachsen zusammen auf. Gemeinsame Mahlzeiten, gemeinsame Reisen, gemeinsam verbrachte freie Zeit auf Konzerttourneen – Stadtbesichtigungen, Museumsbesuche, Ausflüge in Nationalparks. „Ob man das in der Musik wirklich hören kann, weiß ich nicht“, sagt Soo-Jin Hong, „aber dieses Gefühl, gemeinsam zu leben, ist in unserem Trio sehr wichtig.“
Zusammengefunden haben sie 1999 während des Musikstudiums in Wien. Dort entwickelte sich ihr gemeinsames Musikverständnis, das später durch den Unterricht beim Alban Berg Quartett und dem legendären ungarischen Klavierpädagogen Ferenc Rados ausgeformt wurde. Verwurzelt sind sie in denkbar unterschiedlichen Kulturen: Soo-Jin und Soo-Kyung Hong kommen aus Korea, Jens Elvekjaer stammt aus Dänemark, wo auch die Schwestern inzwischen ihre Wahlheimat gefunden haben. Das ist nicht nur kein Problem für die musikalische Arbeit, sondern sogar eine Bereicherung: Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Denk- und Arbeitsweisen, das Erspüren, wie unterschiedlich Äußerungen in der einen oder der anderen Kultur verstanden werden, das Ausloten, inwieweit man sich, etwa bei Familienbesuchen, an die Kultur des anderen anpasst oder versucht, Verständnis für die eigene zu wecken – all das erweise sich auch auf musikalischem Gebiet als unschätzbar wertvolle Erfahrung, sagt Jens Elvekjaer. „Als moderner Musiker ist man mit allen Stilrichtungen und Epochen konfrontiert, mit französischer, russischer, deutscher, südamerikanischer, ungarischer Musik. Es ist ein Pluspunkt, dass wir diese Flexibilität und Dynamik in unserem Ensemble erleben.“
Flexibilität, Dynamik, Offenheit für Neues: Wohl auch dank dieser Eigenschaften erregte das Trio con Brio Copenhagen schnell das Interesse der Öffentlichkeit. Wenige Jahre nach der Gründung machte es bei großen Wettbewerben auf sich aufmerksam. ARD-Wettbewerb 2002, Premio Vittorio Gui, Florenz, 2003, dann der Kalichstein-Laredo-Robinson International Trio Award 2005: Türöffner zu den Konzertsälen diesseits und jenseits des Atlantiks. Später kam der Carl-Nielsen-Preis hinzu, eine der höchsten Auszeichnungen für Künstler in Dänemark. Inzwischen gehört das Trio längst zu den international erfolgreichsten Kammermusikensembles. Das französische Klassikmagazin „Diapason“ handelte es in einer Konzertkritik 2020 als würdigen Nachfolger des berühmten Beaux Arts Trios. Temperament und Spielfreude, verbunden mit detailverliebter Treue zum Notentext; ein unprätentiöser, dabei musikantischer Zugang; brillante, mühelos wirkende Spieltechnik; die traumwandlerische Vertrautheit untereinander: Das sind Zutaten zum Erfolgsrezept, die etwa die Gesamtaufnahme der Beethoven-Trios zu einem Meilenstein machen und der Einspielung der Trios von Dmitri Schostakowitsch und Anton Arensky 2022 den „Preis der Deutschen Schallplattenkritik“ eingebracht haben.
Die jahrzehntelange Vertrautheit gibt dem Trio con Brio die Freiheit, in Konzerten auch mal von erprobten Konzepten abzuweichen, spontan kleine Verzögerungen, eine Veränderung der Dynamik, eine andere Nuance in der Klanggestaltung zu wagen. „Es ist wie bei einem Fischschwarm“, sagt Soo-Kyung Hong. „Wir haben die gleiche Idee, den gleichen Flow und können deswegen sehr frei sein.“ Zugleich arbeiten sie akribisch an hundertfach gespielten Werken, feilen an Details, nehmen mit dem iPhone Proben und Konzerte auf, um sich immer wieder zu kontrollieren, statt sich auf ihre Routine zu verlassen. Beides, die Freiheit und die Detailliebe, spiegelt sich in der kürzlich erschienen Aufnahme des farbenreichen Klaviertrios von Maurice Ravel, das sie nach 18 Jahren ein zweites Mal eingespielt haben: in der freieren Gestaltung mancher Passagen und schärfer herausgemeißelten Konturen.
Einen besonderen Platz nimmt im Repertoire des Trio con Brio Copenhagen die zeitgenössische skandinavische Musik ein. „Diese Musik hat eine besondere Palette von Farben“, findet Jens Elvekjaer. „Es klingt zwar etwas banal, wenn man vom nordischen Licht spricht, aber es existiert tatsächlich, auch in der Musik.“ Mit mehreren Komponisten verbindet das Trio eine intensive musikalische Beziehung, mit Bent Sørensen etwa, dem wohl bekanntesten dänischen Komponisten, dessen flirrende, schimmernde, „romantische“ Musik, so formulierte es einmal einer seiner Kollegen, „von Erinnerungen, aus Erfahrung gewonnener Weisheit und alten Träumen erfüllt“ ist, „von der Unvermeidbarkeit der Vergänglichkeit und des Abschieds“. Zwei Klaviertrios und ein Tripelkonzert hat Sørensen für das Ensemble geschrieben, im letzten, „Masquerade“, zitiert er aus den beiden vorherigen und nimmt damit Bezug auf die persönliche Verbindung zwischen Komponist und Musikern.
Eine Uraufführung sei wie die Geburt eines Kindes, sagt Jens Elvekjaer, aufregend, unvorhersehbar. Durch die enge Zusammenarbeit mit lebenden Komponisten hat sich auch sein Blick auf Werke der Vergangenheit verändert: Man fühle sich ihnen näher, denn „auch Beethoven und Tschaikowsky haben mit Musikern zusammengearbeitet, sich von ihnen beeinflussen lassen, auf sie reagiert. Ihre Werke werden dadurch zu einer lebendigen Materie. Sie sind nicht mehr die Bibel. Oder vielleicht doch, aber eine dynamische, persönliche Bibel“.
Die Auseinandersetzung mit der Sprache zeitgenössischer Komponisten – zuletzt anlässlich der Uraufführung eines Trios der dänischen Komponistin Louise Alenius im Berliner Pierre Boulez Saal Ende Januar – gehört zu den vielfältigen Erlebnissen und Erfahrungen, die Soo-Jin Hong, Soo-Kyung Hong und Jens Elvekjaer in den letzten 25 Jahren geteilt haben. Und die sich ins „Trio-Gedächtnis“ eingebrannt haben.
„Beim ersten Ton, den wir zusammen gespielt haben, wahrscheinlich ein Beethoven-Trio, waren wir sehr jung und hatten noch fast nichts erlebt“, sagt Jens Elvekjaer. „Inzwischen haben wir viel erlebt, und dass wir diese Erfahrungen in der Musik wiederfinden, zeigt, wie unglaublich die Meisterwerke sind, mit denen wir es zu tun haben. Sie begleiten einen durchs Leben und sind immer relevant und neu.“