
Auf einem Besenstiel mit einer Grifftabelle Cello zu üben, klingt wie der reinste Wahnwitz. Doch mehr stand Abel Selaocoe (sprich: Selautsche) nicht zur Verfügung zu Hause in Sebokeng. „Das ist ein großes Township im Süden von Johannesburg. Ich komme aus
Zone 7 – Skelemeng“, sagt Selaocoe, der dort als jüngstes Kind eines Vaters aus dem Volk der Batswana und einer Mutter aus dem Volk der Zulu mit zwei Schwestern und dem acht Jahre älteren Bruder Sammy in einem Haushalt aufwuchs, in dem viel gesungen wurde.
„Alles begann mit meinem Bruder, der Musik machte, lange bevor ich mich dafür interessierte“, erzählt der 1992 geborene Selaocoe. „Er brachte Leute aus der Kirche, der Blaskapelle oder was auch immer zusammen und schrieb Musik für sie.“ Das sei damals normal gewesen: „Es gibt eine Menge Wege, um gegen die Apartheid zu protestieren. Einer von ihnen ist, dass man sagt, die Kunst existiert nicht nur für weiße Menschen. Auf dem Höhepunkt der Apartheid gab es viele schwarze Leute, die Ballett tanzten, bildende Kunst betrieben und klassische Musik spielten.“
So nahm Sammy ihn jeden Samstag mit nach Soweto zur African Cultural Organisation of South Africa (ACOSA), einer von Michael Masote geleiteten Musikschule, aus der das Soweto Symphony Orchestra und das Soweto String Quartet hervorgingen. „Es war ein Projekt, das uns für ein Wochenende aus dem Township herausbrachte. Die Lehrer waren ganz erstaunlich. Sie konnten so viel Wissen weitergeben, hatten aber eigentlich keine Mittel zur Verfügung.“ Wie sein Bruder begann auch Selaocoe mit der Blockflöte, fühlte sich aber zum Cello hingezogen, schlicht weil es „groß“ war. „Ich fing an, samstags in eine Klasse zu gehen, in der wir uns alle ein oder zwei Celli teilten. Ich war wie besessen und lernte alles, was einen Bassschlüssel hatte.“ Das war die Zeit des Besenstiels, außerdem nutzte Selaocoe das Radio, um eine Fülle an Cellorepertoire aufzunehmen und anzuhören. „Tatsächlich ist es sehr hilfreich, erst einmal das Hören zu lernen, bevor man sich den Herausforderungen des Spiels stellt.“
Nach einem Jahr hatte er solche Fortschritte gemacht, dass ihm die Schule ein gespendetes Cello schenkte. Sein Bruder, der Fagott spielte, gründete eine Band aus Kirchenmusikern in Sebokeng. „Alle in der Gruppe waren unglaublich im Improvisieren“, erinnert sich Abel Selaocoe. „Ich war der Einzige mit einem Cello, und ich sah zu ihnen auf und lernte.“ Er begann, das Cello einzufügen in die Freiräume, die ihm die afrikanische Musik und die Improvisationen ließen. „Im Township war ich bei jeder Gelegenheit dabei. Die Leute hielten mich nicht für einen klassischen Cellisten oder überhaupt für einen Cellisten. Ich war einfach das Kind, das dieses Ding spielen konnte. Und dann musste ich halt auch was spielen. Wir sind nicht mit klassischer Musik aufgewachsen, also war das Cellospielen nur eine weitere Möglichkeit, an der Kultur teilzuhaben, die wir hatten.“
Das Cellospiel nahm Abel Selaocoe außerordentlich ernst, jeden Tag übte er drei Stunden nach der Schule. Sein Bruder Sammy ermunterte ihn, indem er sagte: „Niemand kann dir das abnehmen. Mach einfach die Tür zu, spiele und schau, was passiert.“ Was passierte, war ein Schock für die begüterten Arbeitgeber seiner Mutter. Der Sohn ihrer Haushaltshilfe bekam ein Vollzeitstipendium für das renommierte St. John’s College in Johannesburg – Südafrikas Pendant zu Eton und ähnlich kostspielig.
Mit 13 Jahren war Selaocoe der einzige Township-Junge in St. John’s: „Es war der Eintritt in eine vollkommen andere Welt. Eine Welt der Privilegien. Damals sprach ich Englisch nur auf sehr niedrigem Niveau. Sebokeng ist zwar ein toller Ort, aber man hat dort viel weniger Möglichkeiten.“ Er verdanke der Schule „neben Freundschaften mit Menschen, die nicht so waren wie ich, die Gewohnheiten, die mich seither am Laufen halten. Wie Sportler lernten wir zu verstehen, wann wir trainieren sollten und wann wir unsere Muskeln ausruhen sollten und wie wir verstehen, woher unsere Motivation kommt“.