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Interview
Lebe den Moment
Christian Tetzlaff über die schönsten Konzert­anfänge, Adrenalin auf der Bühne und die Grenzen der künstlerischen Freiheit
Von
Arnt Cobbers
Giorgia Bertazzi

Konzerte mit Christian Tetzlaff sind stets emotional packende Erlebnisse. Wie kaum ein anderer Geiger schafft er es, die Bandbreite der Gefühle bis in die Extreme auszuloten, ohne dass es im Geringsten aufgesetzt oder forciert wirkt. Er pflegt ein sehr breites Repertoire, gibt rund 100 Orchester- und Kammermusikkonzerte im Jahr, nimmt regelmäßig CDs auf, leitet als Nachfolger seines verstorbenen Freundes Lars Vogt das Festival Spannungen in Heimbach – wirkt aber, als sei Stress für ihn ein Fremdwort. Der gebürtige Hamburger, der seit Langem in Berlin lebt, ist ein gänzlich uneitler, sehr angenehmer Gesprächspartner.


Herr Tetzlaff, ist der Beginn eines Konzerts eher Lust oder Last?

In den meisten Fällen Lust. Ich zitiere gern den Satz von Elisabeth Schwarzkopf: Wir werden nicht für das Konzert bezahlt, sondern für die Stunde davor. Da fragt man sich, wie es laufen wird, wie man körperlich und mental drauf ist. Aber wenn es losgeht … Ich habe gerade wieder Brahms gespielt und gedacht: Welche Lust ist es, sich da reinzustürzen! Genauso war es von Brahms auch gedacht mit diesem superdramatischen Anfang. Für die Kammermusik gilt das genauso. Diese Lust hat sich mit den Jahren gesteigert. Wenn man 20 ist, denkt man unweigerlich: Kann ich das Orchester überzeugen? Werde ich wieder eingeladen? Man ist ja nicht der einzige, der dieses Solokonzert spielen möchte. Diese Fragen sind jetzt alle weg.


Ist ein Konzerttag überhaupt noch etwas Besonderes für Sie?

Ich habe das Brahms-Konzert über 200 Mal gespielt, aber wenn es losgeht – das wird nicht einfacher. Man hat vielleicht mehr Vertrauen, aber man muss diese 35 Minuten einfach voll da sein, und dafür gibt’s nie eine Garantie. Das widerspricht nicht der Tatsache, dass es lustvoll ist. Aber es kann immer alles passieren, nicht zuletzt, dass man seinen Text vergisst. Aber es hilft sicherlich auch, dass man weiß, man balanciert auf einem schmalen Grat. Man braucht diese übermäßige Konzentration, damit es wirklich ein guter Abend wird.

Macht es einen Unterschied, ob Sie bei Kammermusik sofort auf die Bühne gehen oder im Orchesterkonzert erst nach dem ersten Stück?

Kammermusik ist weniger egozentriert, der Druck im Solokonzert ist anderer Art, größer. Was nicht heißt, dass der technische Anspruch geringer wäre. Beethovens cis-Moll-Quartett ist rein technisch schwerer als das Violinkonzert. Aber es ist ein anderer Fokus, dieses Gefühl der Anspannung ist in der Kammer­musik kleiner.


Was machen Sie, wenn das Orchester das erste Stück spielt?

Da bin ich noch in meiner Garderobe und höre eigentlich immer an der Intercom, was das Orchester spielt. Und dann stehe ich mit dem Dirigenten vor dem Bühne und scharre mit den Hufen – das ist genau das Gefühl: So, und jetzt raus!

Gibt es dankbare und undankbare Konzertsäle, was den Auftritt betrifft? Das Concertgebouw zum Beispiel mit seiner langen Treppe?

Das ist lustig, da kann das Publikum erstmal bestaunen, wie elegant der Geiger seine Füße setzt, wie schnell oder langsam er den Auftritt hinter sich bringen möchte. Aber es hat auch etwas von 19. Jahrhundert-Virtuosentum: Ah, da ist er! Ansonsten gibt es einfach Lieblingsräume. Die Elbphilharmonie ist für mich ein solcher Tempel für unsere Arbeit – rein visuell, aber auch klanglich ein Mirakel! Und dann gibt es Räume wie die Carnegie Hall, den Musikverein in Wien oder die Leiszhalle in Hamburg, die so eine Patina haben, wo man das Gefühl hat: Hier ist schon so viel Schönes gespielt worden. Und ich darf das nun fortsetzen. Wie ein Museum im guten Sinne: Hier sind Momente der Geschichte auf die schönste Art konserviert, und nun gehen wir wieder auf Zeitreise. Man spielt ein Stück von einem Menschen, der 200 Jahre tot ist, und für den Hörer, der sich darauf einlässt, ist es, als spräche er in diesem Moment zu uns – von Mensch zu Mensch. Es wird etwas Großes verkündet, das den Lauf der Zeit überdauert hat.


Spüren Sie das Publikum?

Meist in den ersten stillen Momenten eines Stückes. Da merkt man: Hier wird zugehört oder eben nicht so sehr. Es wäre auch komisch, wenn ich an dieses kollektive Gefühl, dass da etwas Besonderes im Raum entsteht, nicht glauben würde. Und da komme ich zu meiner Mission: Die großen Werke brauchen keine Show, wir müssen nichts Besonderes machen. Es reicht, dass man weiß, dem Interpreten da vorn geht es um nichts anderes, als diesen Moment zu erleben. Es geht nicht darum, wie toll er das macht oder wie anders er das interpretiert. Es geht nicht um die Persönlichkeit des Interpreten. Natürlich ist meine Aufgabe als Interpret eine sehr persönliche und sehr große. Aber den Genuss finde ich in der Rolle des Vermittlers.


Und wenn es dann losgeht: Ist Ihnen ein Sibelius oder Mendelssohn lieber, wo Sie direkt loslegen? Oder ein Beethoven oder Brahms, wo Sie hörend ins Konzert reinkommen?

Das ist in der Tat gerade beim Sibelius schön. Man geht rein, atmet und spielt eine wunderschöne Melodie. Der Anfang ist sehr schön zu spielen und noch nicht so schwer wie das, was danach kommt. Bei Mendelssohn ist es ähnlich. Bei Beethoven fühlt sich das Tutti sehr lang an, da zu stehen und dann mit seinen Oktaven zu beginnen, das ist nicht aus der Sicht des Geigers geschrieben. Aber die Gefahr erhöht auch den Moment. Das hat eine poetische Kraft.


Passiert es, dass ein Dirigent plötzlich ein anderes Tempo nimmt als abgesprochen?

Das letzte Mal ist mir das vor vielen Jahren passiert mit einem Dirigenten, der sauer auf mich war, wie ich hinterher erfahren habe. Aber die guten Dirigenten heute ziehen ein Konzert nicht mehr diktatorisch durch, sondern über die Kommunikation und die Zusammenarbeit. Wenn man den Beethoven mit zehn Metronomzahlen mehr oder weniger beginnt, verliert das Werk für mich sein Gesicht. Beim Brahms kann man das schnell wieder einfangen. Aber ich würde diese Werke nie mit einem Dirigenten spielen, der eine ganz andere Sicht hat als ich. Eine leichte Veränderung kann dagegen eine Chance sein: Ah, mein vertrauter Dirigent hat heute etwas entdeckt, und dann versuche ich darauf einzugehen.


Gibt es auch Dirigenten, die sagen: Wir sind hier im Solokonzert nur die Begleitung?

Das ist wahnsinnig traurig. Das sehe ich ganz oft bei berühmten Solisten, die dann weit vor dem Orchester stehen und erwarten, dass die Melodien im Orchester ihre Begleitfiguren wahrnehmen, und der Dirigent steht so dazwischen – das ist vollkommen lustfrei. Gerade bei Brahms oder Beethoven muss der Geiger sein Ohr im Orchester haben, die Musiker müssen spüren, dass sie nicht die Begleitband sind. Ich arbeite viel in den Proben, weil ich echte Zusammenarbeit möchte. Erst dann entstehen Konzerte, in denen man frei sein kann. Jeder übernimmt mal die Initiative, der Dirigent, ich, aber auch die Solisten im Orchester. Das gilt übrigens auch für die Arbeit im Streichquartett: Da ist jede Stimme gleich viel wert, das Modell des Primarius-Quartetts ist für mich langweilig und nicht mehr zeitgemäß.


Gibt es Lieblingsanfänge oder heikle Anfänge?

Wie gesagt: Vom Beethoven muss man viele Aufführungen hinter sich haben, bis man wirklich mit Lust zum hohen g hochstürmen kann. Sibelius ist schön, Bartók 2 ist ein sensationeller Anfang, wo man sofort vollkommen in der Materie drin ist. Und natürlich der Lieblingsanfang überhaupt: das Berg-Konzert, wo man sich in unendlicher Zärtlichkeit und ganz vorsichtig in das Stück hineinschleicht, das ist sehr schön.


Gibt es Werke, die nach einem guten Anfang stark abbauen?

Die beiden Prokofjew-Konzerte haben sehr catchy beginnings. Aber die gehören zu den sehr wenigen Stücken, die ich nicht interessant genug finde, um sie im Repertoire zu haben.


Gibt’s Stücke, die Sie gern ein bisschen umschreiben würden – damit sie noch schöner werden?

Da würde man ja dem Komponisten unterstellen, dass er es nicht besser konnte. Aber wenn man davon ausgeht, dass es mit Absicht so komponiert ist, soll das Unangenehme wohl Teil des Eindrucks sein, den das Stück machen soll. Wem da nicht der Name Schumann in den Kopf kommt, der kennt das Konzert nicht. Das Stück ist wahnsinnig unangenehm zu spielen, es spielt sich alles auf der A- und der D-Saite ab, was nach draußen nicht gut funktioniert und schwer zu handhaben ist. Aber in einer guten Aufführung stellen sich genau dieses Mittelstimmenmaß, dieses menschliche Maß, der Kampf als Elemente der Komposition heraus. Oder die vielen Wiederholungen: Da wird mantraartig ein Zustand beschworen, und wenn es richtig gut gespielt wird, funktioniert das. Da kommen wir zu einem Kriterium: Es gibt Stücke, die nur funktionieren, wenn sie gut gespielt werden. In vielen von Schumanns Werken ist der Interpret besonders gefordert, auch in den Geigensonaten. Während ein schlecht gespieltes Brahms-Konzert immer noch „schön“ ist in seinen Melodien und Harmonien.


Sie folgen den Ideen und den Gefühlen des Komponisten. Sagen Sie sich nicht manchmal: Diese Stelle hier hätte ich selbst anders geschrieben?

Bei den Stücken, die ich oft spiele, würde ich sagen: Jedes Stück ist vom Komponisten so gut geschrieben worden, wie es geht. Das hat eine Logik in sich, die nur der Komponist ausdrücken konnte. Es gibt viele Musiker, die sehr schnell aufgeben und sagen: Das gefällt mir nicht, deshalb spiele ich es nicht. Der langsame Satz vom Tschaikowsky-Konzert ist bezeichnet mit Metronom 84, schneller als der erste Satz, und mit Sordino. Er wird normalerweise als Adagio gespielt mit großem, fettem Ton. Offensichtlich weil die Musiker sagen: Tschaikowsky hat sein Stück nicht verstanden, das gehört ganz anders. Diesen Schritt würde ich nie machen. Die armen Komponisten können doch nur wenige Anweisungen geben: Tempo, die grobe Dynamik usw. – die werden doch alles aufschreiben, was für sie wesentlich ist. Ich folge den Anweisungen – nicht, weil ich ansonsten gegen den Urtext verstoßen würde, sondern weil ich verstehen möchte, was der Komponist wollte. Dass in Tschaikowskys zweitem Satz die übliche Lesart mit fettem Ton und viel Vibrato wirkungsvoller für den Solisten ist, ist klar. Aber ich verstehe den Dämpfer wie einen Schleier, alles wird in einen Sepiaton getaucht. Das ist die Erinnerung an einen schönen Ball, da entsteht eine Poesie, die mit Eugen Onegin zu tun hat. Beim Klaviertrio schreibt Tschaikowsky: Ich bitte meine Musiker, richtet euch genau nach den Metronomzahlen. Das schreibt er, weil er weiß, was die Musiker machen: Sie fangen mit Metronom 60 an und hören mit 20 auf, damit es noch trauriger wird. Dabei ist die Romantik die Zeit des Individuums – im Unterscheid zur Klassik und zur frühen Moderne. Plötzlich sagt ein Mensch: Seht her, wie ich mich fühle. Und dann soll ich sagen: Ich weiß besser als der Komponist, wie man dessen Gefühle ausdrückt? – Dann kommt immer: aber die künstlerische Freiheit! Für mich besteht die darin, diese Gefühle so tief wie möglich auszuleben. Aber ich bleibe der Interpret, ich muss mich auf die Suche begeben nach der Wahrheit. Diese holzschnittartigen, erfolgsheischenden Interpretationen lassen uns viel von dem rein Menschlichen, den Zwischenbereichen, auch vom Absurden und der Ironie verlieren. Genau das genieße ich so in unserer Kunst, dass sie alles abbildet. Die Komponisten hatten das Bedürfnis, in ihrer Musik zu sagen, was wirklich mit ihnen los war – und das war sicherlich schwer damals. Wir kennen heute noch das Gefühl, dass wir unsere innersten Gefühle eher verstecken müssen. Das tun Schubert und Brahms nicht, oder Beethoven, der mit anderen Menschen ja eigentlich nicht kommunizieren konnte, aber diesen rührenden Wunsch hatte, dass seine Sensibilität und seine Erfahrungen wahrgenommen werden – um dadurch auch anderen etwas zu geben: „Von Herzen – möge es wieder zu Herzen gehen“. Denn das ist es, was kathartisch passiert, wenn man tiefe und supertraurige Musik hört: Wir gehen in uns, in unsere Seele, dahin wo es wehtut, und wir haben jemanden an unserer Seite. Heutzutage ist das für viele der Psychotherapeut, früher war es der Priester, für mich waren es immer die Komponisten, die sich diesen Ausdruckswelten gestellt haben. Unsere Aufgabe als Interpreten ist es eben nicht, so triumphal und temperamentvoll wie möglich dazustehen, sondern diese Schritte mitzugehen.


Jetzt haben Sie den ersten Satz mit der Kadenz hinter sich. Wie schaffen Sie es, die Konzentration für den zweiten Satz hochzuhalten?

Ich bin immer froh bei Beethoven, Tschaikowsky, Brahms, wenn nach dem ersten Satz geklatscht wird, weil das eindeutig so vorgesehen ist. Bei der Uraufführung des Brahms-Konzerts wurde schon am Ende der Kadenz geklatscht – in den allerschönsten Moment hinein, aber das wussten die Leute ja nicht. Und Brahms war überhaupt nicht unglücklich darüber. Diese Satzschlüsse sind alle komponiert wie große Enden, bei Beethoven und Brahms nach 20 Minuten Musik am Stück. Da darf man applaudieren und durchatmen. Und dann kommt etwas Neues, naiv und wunderschön. Ich bin froh, wenn der Geiger da nicht mit derselben Inbrunst reingeht wie in den ersten Satz. Und den letzten Satz luftig und entspannt zu nehmen, ist kompositionsimmanent, würde ich sagen. Das ist der Rausschmeißer. Wieviel Anspannung und Konzentration man dann noch hat, das ist jeden Abend anders, das ist eine Frage der körperlichen Konstitution, aber auch wie viel Adrenalin noch im Blut ist. Manchmal steht man bis zum Ende unter Hochspannung, manchmal geht das auch runter, das kann man nicht beeinflussen.


Wo kommt das Adrenalin her?

Aus dem Wunsch, nicht zu versagen, um es ganz krass zu sagen. Und aus dem Wunsch, dass alle vor dem Stück niederknien. Das ist natürlich ein riesiger Anspruch. Und nach einem Anfang wie im Brahms-Konzert mit dieser explosiven d-Moll-Kadenz bin ich vollkommen außer Atem. Diese drei Anteile sind unterschiedlich vertreten, aber immer da. Inzwischen stellt sich bei mir beim Spielen immer mehr ein trancenaher Zustand ein. Da bin ich auf einer anderen körperlichen, geistigen Ebene.


Wie schaffen Sie es, die Konzentration aufrecht zu erhalten?

Ich weiß nicht, ob man das bewusst tun kann. Muss ich mal beim nächsten Konzert beobachten – und dann werde ich wahrscheinlich rausfliegen. Nein, das gibt es zwischendurch immer, dass man abschweift. Und das sind nicht die schlechtesten Momente, wo man nicht nur auf die Geige fixiert ist, sondern auch mal kurz an den Urlaub in Dänemark denkt.


Bekommen Sie mit, was im Publikum und im Orchester passiert?

Die Sensoren sind immer nach hinten gerichtet. Ich habe so gut wie keinen Blickkontakt mit den Dirigenten und keine körperliche Zuwendung nötig. Aber man merkt die kleinsten Veränderungen sofort und passt sich dem ein. Trance-Zustand bedeutet eher, dass man weiß: Was ich jetzt mache, das muss genau so sein. Genau so muss die Musik fortschreiten. Dass man das Gefühl hat, man ist am richtigen Platz und erfindet alles in diesem Moment. Das ist mein Ideal, auch in der Kammermusik, dass man zusammenspielt, indem man den anderen ganz wahrnimmt – weshalb wir auch sehr wenig proben. Ich halte wenig davon, wenn etablierte Gruppen ein Stück über Monate proben und dann aufführen. Das wirkt auf mich oft, als höre man Lösungen für ein Stück. Die Entscheidungen, die wesentlich für den musikalischen Ausdruck sind – wie Janáček schreibt: Ein Sforzato kann ein Sack sein, der von einem Wagen fällt, aber es kann auch das Aufblitzen im Auge eines Tigers sein –, die sollte man im Konzert treffen. Weil es immer etwas gibt, was vorher war und auf das man reagiert.


Macht es von der Vorfreude her einen Unterschied, ob Sie Brahms spielen oder ein Konzert von Szymanowski oder von Christian Jost?

Ich habe bei den Orchestern das Gefühl einer größeren Mission, wenn es Werke sind, die sie noch nicht oder selten gespielt haben. Und es ist einfacher. Beim Beethoven sagt man oft: Bitte nicht so. Bei unbekannten Stücken muss man nur die Begeisterung wecken. Ich habe gerade zum ersten Mal das wunderbare erste Violinkonzert von Thomas Adès gespielt – da hatte ich so einen Missionseifer, und das Orchester war auch begeistert von der Arbeit. Oder die Suk-Fantasie, die ist für mich eines der großen Violinkonzerte. Wenn ich bei Orchestern bin und merke, wie begeistert sie von dem Werk sind, ist das eine zusätzliche Motivation.


Gehen Sie nur mit einem Stück auf die Bühne, das Sie gut kennen?

Nee. In Heimbach machen wir jedes Stück mit zwei Proben, auch die kompliziertesten Sachen. Manchmal klappt das nicht so ganz. Manchmal aber auch sehr, sehr gut: Es wird eben nur einmal gespielt. Das ist es, und das muss es sein! So war das auch, als die Stücke komponiert wurden. Beethoven hat praktisch alle Werke am Tag der Uraufführung zum ersten Mal geprobt. Das fand er natürlich nicht ideal, aber das war eben so, das hat er nie in Frage gestellt. Der Gedanke, dass man Stücke jahrelang probt und spielt, wäre für wohl alle Musiker der letzten Jahrhunderte befremdlich gewesen. Ich selbst übe seit Jahrzehnten minimal, vielleicht eine Stunde am Tag, meine 16 Uraufführungen hab ich meist sehr knapp vorher angefangen – weil ich diesen Druck brauche und auch nicht so gut im Planen bin. Aber es passt offensichtlich zu mir, dass ich dieses Sicherheitsnetz nicht rechtzeitig bedenke. Das führt immer zu einer Euphorie und einer Begeisterung für die Sache.


Wie ist es mit der Zugabe: Pflicht oder Freude?

Das ist meist eine Freude. Ich spiele fast immer dieselben Stücke. Was ich konkret spiele, entscheide ich in der Situation. Das ist fast immer Bach, ganz selten mal Bartók oder Ysaye.


Und wenn Sie von der Bühne gehen, wie lange trägt die Euphorie?

Ich komme ganz schnell wieder runter. Ich trinke, wenn ich von der Bühne gehe, ein Bier, dann lässt diese Überspannung sofort nach. Dann schicke ich eine Nachricht an meine Frau, wie es gelaufen ist, und frage, wie es mit den Kindern war, und dann bin ich wieder im normalen Leben. Es ist wirklich ein Doppelleben. Ich bin begeisterter Musiker, aber ich definiere mein Leben nicht dadurch, Musiker zu sein. Dies hier, meine Frau und meine Kinder, das ist das Wesentliche.


Und was machen Sie im zweiten Konzertteil?

Da setze ich mich eigentlich immer ins Publikum, es sei denn, es gibt noch diesen einen späten Zug oder Flug, der mich früher nach Hause bringt.


Letzte Frage: Es gibt viele großartige Violinkonzerte. Aber auch große Komponisten, die keines geschrieben haben. Von wem hätten Sie gern noch eines?

Natürlich hätte ich gern eines von Mahler oder von Bruckner. Aber wäre das denkbar? Schubert? Das wäre viel zu schwer geworden. Dieses Element des Nach-außen-Tragens ist bei ihm vollkommen ausgeschlossen. Ich glaube: Jeder, der ein Violinkonzert schreiben konnte, hat eines geschrieben. Und die, die keines geschrieben haben, hätten auch keines schreiben können.

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