
Sie ist ganz sicher eines der buntesten und spannendsten Ensembles im Bereich der Alten Musik, die von der Schalmeispielerin Katharina Bäuml 2005 in Berlin gegründete Capella de la Torre.
Sie kombiniert Blasinstrumente wie Schalmei, Pommer, Posaune und Dulzian mit Gesang, Orgel, Laute und Perkussion und präsentiert oft ideengeschichtliche Programme mit aktuellen Bezügen wie dem Umgang mit der Natur, Krieg und Frieden oder auch starken Frauen. Zum Geburtstag ist nun eine Best-of-CD erschienen – die 37. CD in zwanzig Jahren!
Frau Bäuml, wie wählt man aus 36 CDs 18 Stücke aus?
Das war nicht so einfach. Da wirft man schon einen Blick in die eigene Vergangenheit: Was hat uns besonders geprägt, welche Projekte waren die Meilensteine, was ist noch besonders präsent? Aber ich bin froh über die Auswahl, ich finde das passt alles schön zusammen.
Es sind vor allem Aufnahmen der letzten zehn Jahre. Warum?
Das hat rechtliche Gründe. Die Tracks stammen alle von CDs, die ursprünglich bei der Sony/dhm erschienen sind. Da Sony aber die Alte-Musik-Sparte drastisch zurückgefahren hat, mussten wir uns eine neue „Heimat“ suchen, die wir jetzt erfreulicherweise mit dem Schweizer Label Prospero gefunden haben. Natürlich kam die Frage auf, ob CDs als Datenträger noch zeitgemäß sind. Aber allein wenn man die schöne Gestaltung des Booklets sieht, ist die Frage entschieden.
Sie stehen also auch noch zu Ihren ersten CDs?
Absolut. Obwohl ich sagen muss, dass wir über diese zwanzig Jahre wirklich gewachsen sind. Wenn ich unsere ersten CDs höre, dann finde ich das immer noch schön, und ich erkenne mich auch wieder. Aber inzwischen haben wir gemeinsam einen besonderen Capella-Klang etabliert, den man auch gleich erkennt.
Was hat Sie denn überhaupt dazu gebracht, vor zwanzig Jahren solch eine Truppe zu gründen?
Ich wollte einfach etwas mit der Schalmei machen, und das ist unglaublich schwer, wenn man sich nicht selbst drum kümmert. Bei einer Geige oder einer Oboe klingelt immer mal wieder das Telefon, und er oder sie kann bei einer Bach-Passion oder anderen schönen Dingen mitspielen. Mit der Schalmei ist das anders. Ich wollte aber auch selbst Programme entwickeln, bei denen sich die historischen Rohrblatt- und Kesselmundstück-Instrumente mischen und denen ideengeschichtliche Überlegungen zugrunde liegen. Da war schnell klar: Ich muss selbst etwas gründen.
Berlin galt und gilt nicht als Hochburg der Alten Musik.
Sicherlich ist das eine Farbe in dieser vielfältigen Stadt. Aber der Zufall wollte es, dass drei der Gründungsmitglieder von Capella in derselben Straße hier in Berlin wohnten. Das ist längst nicht mehr so, wir sind mittlerweile über ganz Deutschland verteilt, aber wir haben hier unseren Arbeitsschwerpunkt. Im Moment würde ich sagen, bietet Berlin sogar einen Standortvorteil, weil ein Bewusstsein da ist, was klassische Musik alles sein kann. Wir haben gerade mit Sarah Wedel-Wilson eine großartige Kultursenatorin, die wirklich was von der Sache versteht und versucht, auch mit wenig Geld Dinge zu ermöglichen.
Mit viel Geld konnten und können Sie Ihre Mitmusiker ja sicherlich nicht locken.
Nein, das geht nur mit Enthusiasmus, aber mir war von Anfang an wichtig, dass sich alle drauf verlassen können, dass es funktioniert. Und mit etwa sechzig Konzerten im Jahr haben wir uns da gut etabliert – es ist für die Kollegen auch eine sichere Bank.
In vielen Ensembles der Alten Musik herrscht viel Fluktuation.
Ja, und genau dies wollte ich bei Capella vermeiden. Um unseren eigenen, spezifischen Tonfall zu finden, müssen wir viel zusammenspielen. Deshalb habe ich auch jede Position doppelt besetzt, sodass immer jemand aus dem Stammensemble da ist und nur in absoluten Notfällen Aushilfen integriert werden. Das hat zwanzig Jahre lang gut funktioniert und uns zusammenwachsen lassen.
Wie bekommt man denn eigentlich Programme für 36 CDs in zwanzig Jahren hin?
Ich hätte Musik für 360 CDs! Repertoire zu finden, ist nicht das Problem. Ich finde es manchmal schwieriger, diese Musik für unsere heutigen Ohren zu übersetzen. Mir ist es wichtig, die Musik lebendig zu machen und so zu präsentieren, dass sich die Menschen von heute darin wiederfinden. Von Palestrina heißt es, er sei ein reiner Vokalkomponist, Finger weg als Instrumentalist! Dabei gibt es eine Quelle aus dem nordspanischen Lerma, die beweist, dass Palestrina vokal und instrumental gemischt aufgeführt wurde. Ich glaube, diese Musik ist damals schon durch die Welt gegangen, ohne dass man gesagt hätte, die darf aber nur gesungen werden und nur von Männern. Wir haben neulich mit einem Männerquartett zusammengearbeitet, und die sagten, sie müssten inzwischen oft erklären, warum ihr Frauenanteil bei null liegt. Man muss sich einfach trauen und mit offenen Ohren rangehen, dann kommen die Programme beinah von alleine, und die können wir dann auf CD aufnehmen.
Gilt Renaissancemusik denn noch immer als exotisch?
Ich höre immer wieder von Besuchern: Mensch, das war toll, aber von allein wäre ich zu einem Konzert mit Renaissancemusik nicht gekommen. Es ist schön, dass es die Spezialfestivals für Alte Musik gibt, aber wir müssen den Schwung und die Klangpracht der Renaissance für ein breites Publikum öffnen – auch spartenübergreifend und mit guten Programmideen, die ganz heutig sind, ohne sich populistisch anzubiedern. Das klappt immer besser.
Forschen Sie noch viel in Archiven und Bibliotheken?
Anfangs schon, heute weniger. Ich bin zum Beispiel mal nach Lerma in Nordspanien gefahren und habe mir den Kodex des Herzogs von Lerma mit dem Palestrina angeguckt. Da muss man sich lange vorher anmelden und wird dann in ein dunkles, staubiges Zimmer geführt, das nach Papier und Pergamenten riecht, und man darf nicht fotografieren, sondern muss die Noten abschreiben. Das war schon ein Erlebnis. Aber inzwischen ist so vieles digitalisiert, und man kann weltweit online recherchieren, das macht es viel leichter.
Viele Musiker sind stolz auf ihre Weltersteinspielungen. Sie auch?
Vor allem sind die CD-Labels stolz drauf. Doch, ich gebe es zu, es ist schon spannend, etwas zu spielen, was fünfhundert Jahre keiner mehr gehört hat. Aber wir sollten nicht vergessen, dass wir nicht mit den Ohren von damals, sondern von heute hören. Also müssen wir die Musik so präsentieren, dass der Funke überspringt. Man muss die Regeln kennen, aber kann sie dann auch mal brechen. Das ist vielleicht auch eine Spezialität von Capella und Bestandteil unserer künstlerischen DNA.
Sie leiten seit 2024 auch das JAM, das Jugendensemble Alte Musik Berlin. Was ist das?
Ein wirklich innovatives Ensemble von jungen Musikern zwischen 13 und 23 Jahren, die ein Probespiel bestanden haben und dann zu Arbeitsphasen mit anschließenden Konzerten zusammenkommen – in den Ferien von morgens bis abends! Jeder spielt auf seinem vertrauten Instrument und mit seiner Stimme. Das sind enthusiastische junge Menschen, mit denen wir genreübergreifend arbeiten können und bereits fünf Konzerte an prominenten Orten geben konnten. Ein echtes Modellprojekt, das es so nirgendwo gibt. Da hat sich Berlin wirklich mal was getraut!