
Eine Familienfehde, wie sie sich findige Groschenroman-Autoren und Soap-Serien kaum besser ausdenken könnten. Gekonntes Intrigieren als Grundlage für eines der erfolgreichsten Unternehmen seiner Zeit. Die Strauss-Familie pflegt ein ausgeprägtes Konkurrenzdenken und gebiert zugleich einen Unterhaltungskonzern moderner Prägung. Wie hat es so weit kommen können?
Initiator und Urheber ist Johann Strauss Vater. Der Sohn eines glücklosen Gastwirtes bekommt nach dem frühen Tod – Selbstmord? – des Vaters einen Vormund, der festlegt, dass der Junge eine Buchbinderlehre absolvieren soll. Schon aus dieser frühen Zeit stammen die ersten Legenden über Johann als jungen Tausendsassa.
Fest steht, dass Strauss Krisen und Elend hautnah erlebt und, von großem Ehrgeiz getrieben, Karriere machen möchte, um ein gutes Leben führen zu können. Während seiner Lehrzeit besorgt er sich eine Violine. Als Selfmade-Musiker spielt er bei Hauskonzerten und kleineren Tanzveranstaltungen. Schließlich schafft es der inzwischen 21-Jährige als Bratscher ins Tanzorchester von Josef Lanner.
Wir bewegen uns im Wiener Stadt- und Kulturleben in der Zeit um 1830. Nach Napoleons Herrschaft und den zehrenden Jahren nach dem Wiener Kongress blüht die Stadt mit ihren 250.000 Einwohnern auf. Auch in den zusammenrückenden Vorstädten. Überall tönt Musik. Der Schriftsteller Charles Sealsfield berichtet: „[Sonntags] von drei Uhr nachmittags bis elf Uhr nachts befindet sich die ganze Stadt in einem förmlichen Taumel von Musik und Vergnügungen. Straßauf, straßab hört man nur Musik.“
Es entwickelt sich ein regelrechter Überbietungswettbewerb, auch und besonders in der Gastronomie, wo viele kleine Orchester um Auftrittsmöglichkeiten buhlen. Die Wirtshäuser betreiben viel Aufwand: Dekorationen und raffinierte Beleuchtungen werden aufwendiger, die Musik gewinnt an Eigenwert. Für die Besitzer ist es hingegen ein wirtschaftlich schmaler Grat zwischen Investition und Ruin. Doch auch in den adeligen Kreisen steigt der Bedarf an Tanz- und gehobener Unterhaltungsmusik stetig. Die vielen Bälle – zugleich Treffpunkt für gewiefte Netzwerker – wollen prächtig inszeniert sein, natürlich mit der entsprechenden Musik, und zwar mit neu komponierter Musik. Schon damals ist das Showgeschäft ein Kampf auf Biegen und Brechen, nicht zuletzt für die Veranstalter. Bleibt das Publikum weg oder geht zur Konkurrenz, droht bald die Pleite.
Vater Strauss weiß, dass im eigentlich konservativen Wien vieles im Umbruch ist und sich ihm eine große Marktchance bietet. Also beginnt er zu komponieren. Dabei hilft ihm sein Gespür für prägnante Motive, außerdem kann er als Schnellschreiber zügig liefern: Märsche, Walzer, Quadrillen, Polkas. Teils in kollegialer Nähe, teils in Konkurrenz zu dem ruhigeren, leichtblütigeren Joseph Lanner wird Johann Strauss innerhalb kurzer Zeit zur führenden Figur der Wiener Unterhaltungsmusik. Der Autodidakt schart Musiker um sich, die ihr Handwerk bestens verstehen. Dazu eignet er sich eine Bühnenpräsenz an, die auf das Publikum elektrisierend wirkt. „An Raserei grenzende Begeisterung!“, bemerkt der 19-jährige Richard Wagner und nennt Strauss einen „Dämon des Wiener musikalischen Volksgeistes!“.
Strauss wird zu einem Musikunternehmer im eigentlichen Wortsinn: Er ist Musikproduzent und Dirigent, er tritt mit der Geige vor sein Publikum und präsentiert sich mit temperamentvoll-eindrucksvollen Gesten. Auch besitzt er ein waches Verständnis für Werbung und Marketing der eigenen Person. Ein Tor, wer dabei heute an André Rieu denkt …
Strauss kontrolliert jedes Detail. Zu seiner Vermarktungsstrategie zählt auch, dass er die Druckausgaben seiner Werke sämtlich mit einem Bildnis versehen lässt. Es zeigt: natürlich Johann Strauss! Sein Verleger Haslinger ist ihm dabei eine Stütze. Neben den Eintrittskarten zu den Bällen regelt dieser auch den Verkauf von, modern gesprochen, Merchandising-Produkten.