
Augustin Hadelich ist nicht nur einer der besten Geiger der Welt, wie sich inzwischen auch bei den deutschen Veranstaltern herumgesprochen hat. Er ist auch ein sehr angenehmer und netter Gesprächspartner. Beim Treffen in einem Hotel in Leipzig, wo er mit dem Gewandhausorchester das Berg-Konzert spielte, nahm er sich ausgiebig Zeit für ein Interview beim Kräutertee. Hadelich, der im April 41 Jahre alt geworden ist, wuchs als Kind deutscher Eltern in Italien auf und zog vor zwanzig Jahren nach New York. Mit seinem Album „American Road Trip“ stellt er ein ungewöhnlich breites Spektrum an Musik vor, die man hierzulande kaum kennt.
Herr Hadelich, im Internet werden Sie als „der meistbeschäftigte Geiger der Welt“ geführt, und irgendwo hab ich die Zahl von 250 Konzerten im Jahr gelesen.
Nein, das kann ja gar nicht sein! Letztes Jahr waren es 128 Konzerte, normalerweise sind es so zwischen 100 und 120.
Erkennen Sie Ihr Zuhause in New York noch wieder, wenn Sie zurückkommen?
Ich lebe seit der Pandemie in Connecticut, in der Nähe von New Haven. Ich unterrichte mittlerweile auch an der Yale School of Music. Das ist direkt bei mir um die Ecke, und da habe ich eine kleine Klasse mit fünf Studierenden.
Dafür finden Sie Zeit?
In manchen Wochen ist es hart, den Unterricht einzuplanen. Aber ich fühle mich nach dem Unterrichten immer wieder neu motiviert, ich nehme so viel Energie auf von meinen Studierenden, die so positiv idealistisch und neugierig sind.
So eine Karriere ist schon etwas Komisches, oder?
Ich will mich nicht beschweren, denn ich habe mir jahrelang erhofft, dass es mal so kommt. Nachdem meine Karriere eigentlich vor 14 Jahren in den USA begann, bin ich viele Jahre lang hauptsächlich dort aufgetreten. Europa war lange Zeit ein eher schwieriges Territorium für mich, und plötzlich hat es sich gewandelt, was mich sehr freut. Natürlich kann man selbst entscheiden, was und wie viel man spielt. Aber es ist oft so, dass die schönsten Angebote zu unpraktischen Zeitpunkten kommen. Und manche Dinge ergeben sich einfach so. Die Chancen will ich dann auch nutzen. Ich bin jetzt schon seit 15 Jahren viel unterwegs und weiß daher, wie viel Zeit ich brauche, um mich auf die Dinge vorzubereiten. Und ich weiß, dass ich besser spiele, wenn ich ständig spiele. Ich freue mich immer, auf die Bühne zu gehen!
Ist es nicht seltsam, dass Sie jetzt schon wissen, was Sie in zwei oder in drei Jahren machen werden?
Seit der Pandemie wird mancherorts nicht mehr ganz so weit im Voraus geplant. Wobei man in Deutschland immer noch längerfristig plant als in Amerika. Wie soll man denn wissen, was man in drei Jahren spielen will? Ich fand es interessant, dass sich während der Pandemie manchmal ganz kurzfristig Programme geändert oder Konzerte verschoben haben. Plötzlich war ein bisschen mehr Spontanität drin, und das tut der Musik sehr gut, finde ich.
Geben Sie ein Saison-Repertoire vor?
Nein. Aber bei bestimmten Stücken nehme ich mir eine Auszeit. Diese Saison zum Beispiel spiele ich das Dvořák-Konzert nicht, weil ich es letzte Saison so oft gespielt habe. Ich versuche immer, wenn ich zu einem Orchester zurückkehre, ein kontrastierendes Stück zu spielen. Und dann gibt es Stücke, zu denen ich eigentlich nie Nein sage, weil ich sie so gern spiele, zum Beispiel das Sibelius-Konzert oder Bartók Nr. 2 oder das Britten-Konzert. Und bei manchen Konzerten kommt es auch mehr auf den Dirigenten an. Beim Brahms-Konzert zum Beispiel oder auch bei Berg, da ist es gut, wenn man sich schon kennt.
Können Sie die wichtigen Konzerte jederzeit abrufen?
Manche Stücke kann ich schnell wieder für die Probe vorbereiten und dann in und um die Proben herum für mich weiter vertiefen. Für anderes muss ich mir mehr Zeit nehmen. Ende des Monats spiele ich zum Beispiel das erste Prokofjew-Konzert. Das habe ich erst vor ein paar Jahren gelernt und noch nicht so oft gemacht, daher nehme ich mir dafür besonders viel Zeit.
Wenn jetzt die Anfrage käme, heute Abend mit Beethoven einzuspringen, könnten Sie das machen?
Es gibt tatsächlich gerade eine Anfrage für einen Einspringer nächste Woche. Ich überlege noch, ob das nicht doch zu viel wird. Es ist besser, etwas nicht zu machen, als dass man am Ende nicht zufrieden ist. Am Anfang meiner Karriere waren die Einspringer unglaublich wichtig. Da gab es schon auch einen Druck, etwas zu wagen. Das hat sich dann oft auch richtig gelohnt, und ich bekam so einige meiner Debüts mit den großen amerikanischen Orchestern. Bei einem Einspringer kommt man an und hat eigentlich schon gewonnen, weil man das Konzert gerettet hat! Aber auch damals habe ich manchmal Nein gesagt. Ich bekam einmal eine kurzfristige Anfrage für das Berg-Konzert mit Haitink in Chicago und habe es nicht gemacht. Das wäre natürlich toll gewesen, und mit Haitink zu spielen, hatte ich später leider nie wieder die Gelegenheit. Aber damals, das war 2011, glaube ich, hatte ich das Stück noch nicht oft gespielt, das war mir doch zu abenteuerlich, mit nur zwei Tagen Vorbereitung. Ich glaube, es war die richtige Entscheidung.
Sie spielen demnächst zweimal das Tschaikowsky-Konzert hintereinander, mit zwei verschiedenen Orchestern und zwei verschiedenen Dirigenten. Und dann im nächsten Monat dreimal Brahms mit drei verschiedenen Orchestern und drei verschiedenen Dirigenten. Wie können Sie sich da Ihre Offenheit für neue Ansätze bewahren?
Gerade bei Brahms fängt man irgendwie jedes Mal wieder von vorn an und lernt sich erst mal kennen. Natürlich habe ich meine Art, das Stück zu spielen, aber es wird immer wieder ein bisschen anders. Bei Tschaikowsky ist es eher der Solist, der die Entscheidungen trifft, aber bei Brahms kommen so viele Impulse vom Dirigenten und vom Orchester. Das Stück nutzt sich für mich nicht ab, das ist einfach außergewöhnlich.
Müssen Sie eigentlich noch üben?
Ja, natürlich. Es gibt immer etwas, was früher mal ohne Probleme geklappt hat, und jetzt muss man wieder daran arbeiten. Gerade bei Geigern hört man oft deutlich, wenn sie älter werden. Ich muss nicht acht Stunden am Tag üben, aber ich muss schon das Gefühl haben, ich bin alles durchgegangen, ich habe alles präsent im Kopf. Das Üben macht mir meistens keinen Spaß, da muss man einfach durch. Aber als ich meine Geige gewechselt habe, da hat das Üben wahnsinnig Spaß gemacht. Oder früher, wenn ich plötzlich große Fortschritte gemacht habe, das war sehr aufregend. Aber dieses routinierte Üben, um ein Stück, das man vor ein paar Monaten gemacht hat, einfach wieder auf Vordermann zu bringen, das macht nicht so viel Spaß. Aber ich übe ja auch gezielt. Ich mache mir oft Notizen nach einem Konzert oder nach der Probe, zum Beispiel, was ich das nächste Mal besser machen will, oder wenn der Dirigent etwas besonders Interessantes gesagt hat. Ich bin ziemlich selbstkritisch. Ich mache mir aber nie Vorwürfe nach dem Konzert, das bringt nichts. Aber wenn noch ein zweites Konzert folgt, dann schaue ich, ob ich die paar Stellen noch besser hinkriege.
Lassen Sie sich bewusst gewisse Freiheiten, oder improvisieren Sie auch mal in Kadenzen?
Selbst wenn ich Arrangements mache, die so klingen, als wären sie fast improvisiert, sind sie vorbereitet. In der Hinsicht bin ich ein total klassischer Musiker. Ich würde mir beim Spielen zuhören und ständig denken, nein, das war jetzt keine gute Idee. Aber es gibt immer Spielraum für Spontanität. Es gibt ja viele Details, die man nicht unter Kontrolle hat oder nicht bewusst macht, sondern die das Resultat von Arbeit sind, die man vor langer Zeit getan hat, oder irgendwelcher Gedanken, die dann unbewusst zum Vorschein kommen.
Sie spielen ganz überwiegend mit Orchestern. Ist es eine schöne Abwechslung, mal eine Rezital-Tournee wie jetzt mit Francesco Piemontesi zu machen?
Ich mache meistens einmal im Jahr Rezitale. Es ist musikalisch sehr erfüllend, aber ich bin nach zwei Stunden Rezital fix und fertig. Es ist körperlich einfach sehr anstrengend.
Dafür können Sie den ganzen Abend gestalten.
Das ist der Reiz dabei, das stimmt. Wenn ich ein Violinkonzert spiele, bin ich nur Teil einer Geschichte, die andere erzählen. In letzter Zeit habe ich auch oft Solorezitale gemacht, die mit Bach anfangen und aufhören, und dazwischen spiele ich Ysaÿe oder jazzige Sachen. Aber da fehlt mir schnell das Zusammenspiel mit jemand anderem. Ich verstehe, dass sich Pianisten ein bisschen allein fühlen auf ihren Rezital-Tourneen. Aber es hat natürlich einen großen Reiz, dass man bei Bach ganz bei sich ist. Das ist eine ganz besondere Erfahrung. Bei Kammermusik oder Orchesterkonzerten kommuniziert man ja immer mit jemand anderem – mal mehr, mal weniger. Es gibt auch Dirigenten, da schaut man lieber gar nicht hin …
Passiert Ihnen das noch?
Es kann vorkommen, dass man einfach nicht so richtig eine Verbindung zueinander findet. Das merke dann hoffentlich nur ich – irgendwie geht es immer, und es ist dann auch zusammen und klingt ganz gut. Aber mit Dirigenten, mit denen ich diese Verbindung habe, entstehen durch die Musik Momente, in denen ich das Gefühl habe, wir kommen uns wirklich nahe. Und dann reist man in unterschiedliche Richtungen ab und sieht sich zwei Jahre lang nicht mehr. Es ist eigentlich ein komisches Leben.
Sie spielen inzwischen mit den besten Orchestern und den Top-Dirigenten. Macht das qualitativ einen Unterschied?
Es ist natürlich schön, wenn das Orchester gut spielt und gut klingt. Das inspiriert mich dann auch.
Früher habe ich mich bei manchen Orchestern doch ein bisschen durchkämpfen müssen, gerade bei Stücken wie Brahms, da blieben viele Details auf der Strecke. Nach dem Indianapolis-Wettbewerb habe ich mit kleinen Orchestern im Staat Indiana gespielt, das sind professionelle Orchester, die aber durch Studierende und Aushilfen aufgestockt werden. Dabei habe ich gelernt, das eigene Ego dem Stück unterzuordnen. Es passiert auch mit sehr guten Orchestern und sehr guten Dirigenten, dass irgendwas plötzlich nicht klappt im Konzert oder man nicht der gleichen Meinung ist. Das Stück ist immer wichtiger als meine Meinung. Man muss lernen, wie man dem Orchester irgendwie folgt, dass es zusammenbleibt, und trotzdem versuchen, es in die Richtung zu bewegen, in die man gehen will. Man muss oft auf bestimmte Dinge warten, die vielleicht später aus dem Orchester kommen, als man sie gern haben würde. Und wenn man jung ist, freut man sich so auf die Konzerte, dass man eher zu früh spielt – weil man so viel Energie hat. (lacht) Ich habe mit so schlechten Dirigenten gespielt, dass ich mir dachte, wie soll das gehen? Da war ich wirklich so eine Art Begleiter des Orchesters. Aber dabei habe ich viel gelernt, was mir jetzt noch ab und zu hilft. Beim Berg-Konzert gibt es zum Beispiel viele Stellen, wo man als Geiger dem Orchester folgen muss. Man hat Momente der Freiheit, aber man muss mit einem Ohr immer hören, wo sind die jetzt gerade, und dann wieder warten oder auf die Hand des Dirigenten achten. Auch im letzten Satz des zweiten Bartók-Konzerts ist man nur dann wirklich perfekt zusammen, wenn der Dirigent die ganzen Tempowechsel leitet. Weil sonst diese Nahtstellen zwischen den verschiedenen Segmenten des Stücks zu groß werden und die Form zerfällt. Das ist das, was man in der Probe erarbeitet, damit es sich schließlich ganz natürlich anfühlt.
Gibt es überhaupt noch Violinkonzerte, die Sie sich erarbeiten wollen?
Nächstes Jahr spiele ich zum ersten Mal das Violinkonzert von John Adams. Ich habe als Student mal ein bisschen daran gearbeitet, bin aber nicht weit gekommen. Und ich werde in ein paar Jahren auch das vierte Paganini-Konzert spielen. Paganini finde ich sowieso einen sehr unterschätzten Komponisten. Ich habe einen besonderen Bezug zu ihm, weil ich ja in Italien aufgewachsen bin. Leider wird seine Musik von Geigern oft nur als technische Übung gesehen. Das vierte Konzert ist ein cooles Stück, das so gut wie nie gespielt wird. Das muss ich machen, solange ich es noch hinkriege – Paganini ist ja eher was für junge Leute. Es gibt keine gute Ausgabe von dem Werk, die Instrumentierung ist sehr schlecht, wie so oft bei Paganini. Aber die Melodien sind schön, und es ist schön geschrieben für die Geige und auch unterhaltsam und sogar lustig. Leider wird Paganini oft so aggressiv und fokussiert auf die Technik gespielt. Und viele Dirigenten wollen keinen Paganini dirigieren, weil es vom Zusammenspiel her heikel ist und sie nicht so viel selbst gestalten können.
Ist das Programm „American Road Trip“ nur für das Album entstanden – oder spielen Sie das auch live?
Nein. Im Konzert spiele ich viele dieser Stücke, aber nicht das Programm, wie es auf dem Album ist – ein Programm für ein Album ist etwas anderes als ein Konzertprogramm. Ich lebe jetzt schon zwanzig Jahre in den USA und dachte, jetzt ist der richtige Moment, ein amerikanisches Programm aufzunehmen. Und dann habe ich als Klavierpartner Orion Weiss gefragt, den ich schon lange kenne. Auf den Titel sind wir erst gekommen, als das Programm schon größtenteils fertig war. Da wurde mir klar, was für unglaubliche Kontraste und Wechsel da drin sind. Bei einem französischen Album hat man das Gefühl, dass alle Komponisten voneinander beeinflusst sind und in einer Welt gelebt haben. Die amerikanischen Komponisten kommen alle von unterschiedlichen Planeten. Das sind zum Teil Stücke, die selbst amerikanische Geiger kaum spielen. Als ich nach Amerika zog, kannte ich kein einziges dieser Stücke. Inzwischen habe ich das Gefühl, dass das auch meine Kultur und meine musikalische Sprache ist.
Es kann peinlich werden, wenn klassische Musiker anfangen, Jazz zu spielen. Bei Ihnen wirkt es, als hätten Sie einfach diesen Groove.
Als klassischer Musiker hat man oft eine flexiblere Idee von Rhythmus – während beim Jazz oder der Fiddle-Musik der Puls extrem metronomisch ist. Nur darüber hat man Freiheit. Klassische Musiker eilen oft, wenn sie versuchen zu swingen. Und für klassische Musiker ist es auch nicht so leicht, Dinge nach Gehör zu spielen. Man stellt sich irgendwie alles aufgeschrieben vor – und hört dann zum Beispiel Noten mit Swing-Rhythmus als Triolen und spielt sie dann auch so. Aber das ist nicht wirklich das, was man gehört hat und wie es klingen soll. Dafür ein Gefühl zu bekommen, ist mir nicht leichtgefallen. Aber manchmal ist es ja so, dass man eine Sprache, die man später lernt, analytischer betrachtet als die Muttersprache. So ist es vielleicht auch hier. Es fühlt sich jetzt für mich sehr natürlich an, diese Stücke zu spielen. Ich hatte selten so einen Spaß bei einer Aufnahme wie bei diesem Album!
Sie haben auch selbst mal Komponieren studiert.
Aber nur kurz. Ich hatte vorher sehr viel komponiert, und dann traf ich in der Kompositionsklasse auf Leute, die so dogmatisch waren, was den Stil angeht, dass ich Probleme hatte weiterzuschreiben. Und dann hab ich das gemacht, was ich immer mache, wenn es mir nicht so gut geht: Ich habe mehr Geige gespielt. Da warf mir der Kompositionslehrer vor, ich sei nekrophil, weil ich so viel Musik von toten Komponisten spiele, und eigentlich solle ich ganz aufhören mit dem Geigespielen, weil mich das zu sehr an die Tradition binde. Ich war schon immer sehr stur und dachte: Ich komponiere doch eigentlich nur wegen der Tradition, und man sollte doch so anfangen, dass man ähnliche Stücke schreibt wie die, die man am liebsten mag, das ist doch die natürliche Art und Weise, überhaupt etwas Kreatives anzufangen. Wenn man den Studierenden die Verbindung zur Tradition austreibt, dann treibt man ihnen doch auch die Inspiration aus. Ich bin dann nach New York gegangen und habe Geige studiert, und irgendwann kam der Moment, wo ich gedacht habe, ich muss mich komplett auf die Geige konzentrieren. Die technischen Erwartungen sind einfach so hoch, dass man nicht mal für vier Monate die Geige aus der Hand legen und nur komponieren kann.
Aber ist es eine Verlockung, wieder eigene Musik zu schreiben? Sie schreiben ja eigene Kadenzen und arrangieren.
Die Grundlagen aus dem Studium helfen mir schon, wenn es dann darum geht, eine Kadenz zu schreiben oder ein Arrangement zu machen. Eine gute Stimmführung zu machen, fällt mir nicht so schwer. Ich muss nur die Zeit finden. Aktuell ist es so, dass ich mir einmal im Jahr eine neue Zugabe arrangiere. Eigentlich sollte ich das noch viel häufiger tun. Es ist schon ein Vorteil, wenn man eigene Zugaben spielt. Mir sagen oft Orchestermusiker, dass sie dankbar sind, nicht schon wieder die gleichen zwei, drei Bach-Sätze hören zu müssen.
Würde Ihnen als Komponist die Bühne fehlen?
Es gab eine Zeit, als es nicht leicht war, auf die Bühne zu gehen. Wenn man es nicht so gewohnt ist, kann einem das schon ein bisschen Angst machen. Heute freue ich mich eigentlich immer auf die Konzerte, weil ich ständig spiele und mich auf der Bühne wohlfühle. Die Konzerte haben mir in der Pandemie sehr gefehlt.
Hat Ihnen auch der Applaus des Publikums gefehlt?
Ich hab schon meine eigene Meinung, wie ein Konzert lief, und die stimmt nicht immer überein mit der Reaktion des Publikums. Das Publikum reagiert natürlich auch auf das Stück. Die klatschen ja nicht nur für mich, sondern auch für Brahms oder Tschaikowsky. Es ist nicht so, dass ich die Reaktion des Publikums brauche, um mich gut zu fühlen. Aber natürlich freue ich mich über Applaus.
Wie schafft man es, nicht abzuheben, wenn einen 2.000 Leute feiern?
Es gibt immer wieder Momente, die einen zurückbringen in die Realität. Wenn ich im Flugzeug irgendwo klein im Mittelsitz sitze, denke ich mir: Na ja, okay … Aber ich genieße, was so alles passiert. Man darf sich nur nichts einbilden. Es hilft sicherlich, dass es in meinem Leben auch Jahre gab, wo ich nicht viel Erfolg hatte. Gefährlich ist es, wenn man sehr früh Erfolg hat. Ich hatte ja auch so eine Art Wunderkind-Zeit, und damals dachte ich auch, ich weiß schon alles. Aber es ist dann genug passiert, was mich wieder bescheiden gemacht hat. Wenn man zum Beispiel nach einem Konzert müde ist, und dann kommen noch Leute und wollen Autogramme haben. Da kann es schwierig sein, zu lächeln und alles mitzumachen. Aber mir wurde irgendwann klar: Die Leute haben sich drauf gefreut, mich zu sehen, das ist für sie ein wichtiger Moment. Da muss ich mir diese Mühe geben, auch wenn es mir vielleicht schwerfällt. Es gibt keine Entschuldigung dafür, überheblich zu sein.