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Interview
Musik aus einer anderen Welt
Harry Christophers, Dirigent und Gründer des Chors The Sixteen, ist einer der besten Kenner der Musik von Palestrina
Von
Burkhard Schäfer
Firedog

Im Jahr 1979 gründete Harry Christophers, der zuvor in der Westminster Abbey und bei den BBC Singers gesungen hatte, in London den Chor The Sixteen. 1986 kam ein Orchester hinzu, im Jahr 2001 das Label Coro. Längst gehören The Sixteen zu den renommiertesten Alte-Musik-Chören der Welt.

Mr Christophers, im Jahr 2010 haben Sie mit The Sixteen Ihre Palestrina-Edition gestartet. Wie kam es dazu?

Tatsächlich arbeiten wir seit 15 Jahren an dieser Reihe und sind mittlerweile bei Folge 9 angelangt. Palestrina ist für mich deshalb besonders interessant, weil ich ihn aus meiner Perspektive als Dirigent zunächst einmal für einen ziemlich schwierigen Komponisten halte. (lacht) Im Laufe der Jahre konnte ich über die Renaissancemusik ja einen weitreichenden Überblick gewinnen und Vergleiche zu vielen seiner Mitstreiter ziehen, da ich sehr viel Musik von Komponisten wie Tomás Luis de Victoria, Francisco Guerrero, Thomas Tallis und William Byrd und so weiter aufgeführt habe. Und Palestrina war eine epochale Figur – die Beschäftigung mit seiner Musik bleibt eine ewige Herausforderung.

Was reizt Sie so an Palestrina?

Bei ihm spürte ich etwas, das ich zuerst nicht ganz einordnen und begreifen konnte. Und dann wurde mir plötzlich klar: Es liegt daran, dass er ein vollkommener Meister seines Fachs ist. Einfach alles ist bereits in den Noten seiner Musik enthalten, und man sollte sich als Dirigent auf das verlassen, was auf dem Papier steht. Eigentlich wollen wir Dirigenten in der Partitur immer irgendeinen speziellen Aspekt entdecken, den wir dann herausarbeiten können. Palestrina jedoch stellt sich im Gesamtbild als in sich stimmig und vollendet dar.

Palestrina gilt oft als graue Eminenz, altehrwürdig, aber irgendwie von gestern.

Genau wie Haydn. Im Studium hört man immer, Haydn sei „der Vater der Sinfonie“, und da denken viele automatisch: Er muss sehr altmodisch sein – und seine Musik ist vermutlich ein bisschen langweilig. Aber Haydn ist weit davon entfernt, langweilig zu sein. Und dasselbe gilt auch für Palestrina. Wir empfinden für Palestrina zunächst einmal Verehrung: Er ist der Meister, er ist der Größte, jeder wollte ihm nacheifern. Und deshalb haben wir, glaube ich, ein wenig Angst vor ihm und stellen ihn in die Ecke, langweilig zu sein. Aber er ist absolut aufregend – genau wie Haydn!

Wie umfangreich ist sein Schaffen?

Oh, er hat so viel Musik geschrieben, und zwar nicht nur geistliche Werke, sondern auch weltliche Musik. Er hat 104 Messen komponiert, vielleicht sogar noch ein oder zwei mehr; dazu viele Magnificats, Salve Reginas und eine ganze Reihe von Offertorien für das liturgische Jahr. Und doch kennen wir heute nur wenige Stücke von ihm, allen voran die berühmte „Missa Papae Marcelli“. Ich möchte zeigen, dass es da noch viel mehr gibt. Und das ist für mich das Schöne an all diesen Aufnahmen. Schon bei Volume 3 waren wir bei Stücken angelangt, von denen der Chor und ich nie etwas gehört hatten. Das Palestrina-Projekt ist auch für uns zu einer wirklichen Offenbarung geworden!

Was genau ist für Sie das Faszinosum?

Man sieht in den Partituren sofort, wie unglaublich gut Palestrina Stimmen und Stimmlagen beherrscht. Jeder Part liegt wunderschön. Manchmal dehnt er den Tonumfang ein wenig in den oberen oder den unteren Bereich aus, aber er verlässt nie die vokale „Komfortzone“, um es so auszudrücken. Das Spannende ist außerdem, dass alle seine Messen völlig unterschiedlich sind. Auch das verbindet ihn mit Haydn.

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