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Interview
„Musik ist größer als das Leben“
Der gefeierte Dirigent und Allrounder Maxim Emelyanychev über Beethoven, Mozart und den richtigen Zeitpunkt
Von
Arnt Cobbers
Foto: Andrej Grilc

Der erste Interviewtermin fiel wegen eines Wolkenbruchs, der sich über Berlin-Mitte ergoss, buchstäblich ins Wasser. Kurzerhand schlug Maxim Emelyanychev vor, wir könnten uns stattdessen zwei Tage später, eine Stunde vor seinem Konzert mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, im Dirigentenzimmer der Berliner Philharmonie treffen. Da erschien der Russe aus Nischny Nowgorod, der wesentlich jünger wirkt als 36 Jahre, dann auch entspannt und guter Laune, und er erwies sich als unkomplizierter, netter Gesprächspartner, der Englisch mit einem wunderbar rollenden R spricht. Das Konzert, mit Beethovens zweiter Sinfonie, dem dritten Klavierkonzert (mit dem exzellenten Fabian Müller) und der dritten „Leonoren-Ouvertüre“, wurde dann übrigens großartig. Emelyanychev bewegte sich ohne Dirigierstab und ohne Podium fast tänzerisch vor dem Orchester und schlug zum Teil enorm rasante Tempi an. Das Orchester folgte wie elektrisiert mit höchster Virtuosität und Hingabe.

Herr Emelyanychev, Sie werden heute auch die „Faust-Ouvertüre“ von Emilie Mayer dirigieren. Kann die neben Beethoven bestehen?

Ich finde sie sehr interessant, und je mehr wir uns mit dem Werk beschäftigt haben, desto mehr spannende Details haben wir gefunden. Emilie Mayers Sprache ist frühromantisch, ihre Instrumentierung und die Art zu schreiben, erinnern an Mendelssohn, aber sie schreibt das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Sprache von Beethoven, Mozart oder Bach kennen wir seit unserer Kindheit. Aber um unbekannte Stücke zu erarbeiten, muss man herausfinden, wie ist was gemeint, wie geht man mit dem Tempo um, wie artikuliert man, und als Dirigent muss man das beschreiben. Ich habe mir erlaubt, einiges zu ändern, was Instrumentation und Artikulation angeht. Denn wie sie es geschrieben hat, ist es nicht für die Akustik eines heutigen großen Konzertsaals ausgelegt. Wir müssen es behutsam anpassen, damit die Musik ihre Wirkung entfaltet.

Wie fühlen Sie sich eine Stunde vor dem Konzert?

Ich denke, wir haben gut geprobt. Wir hatten genügend Probezeit für relativ leichtes Repertoire, jeder von uns kennt die drei Werke von Beethoven. Das hat uns die Chance eröffnet, wirklich an den Details zu arbeiten, mit Bogenstrichen zu experimentieren, Dinge auszuprobieren, was Artikulation und Dynamik angeht. Ich bin zuversichtlich, dass es ein gutes Konzert wird, vor allem in so einem großartigen Saal wie der Berliner Philharmonie. Es ist das vierte Mal, dass ich das DSO dirigiere. Das erste Mal hier im Saal hab ich Continuo gespielt, Cembalo und Orgel, mit Teodor Currentzis. Und ich habe ja auch schon die Berliner Philharmoniker hier dirigiert. Ich mag den Saal sehr. 

Sie dirigieren schon seit 24 Jahren. Ist es noch etwas Besonderes, auf die Bühne zu gehen?

Es ist immer eine Freude, es ist immer etwas Besonderes. Wir Musiker können uns glücklich schätzen, dass wir einen Beruf haben, in dem wir mit anderen Menschen, in unserem Fall mit dem Publikum, Energie teilen können. Wir widmen uns einer Kunst, die jetzt, genau in diesem Moment entsteht und wirkt. Deshalb fand ich die Corona-Zeit auch so hart.

Sie haben mal gesagt, die wichtigste Aufgabe des Dirigenten sei es, den Musikern Energie zu geben.

Der Beruf des Dirigenten hat sich gewandelt. Im 19. Jahrhundert war es seine Aufgabe, den Musikern zu helfen, zusammen zu sein. Dann wurde es seine Aufgabe, den Musikern zu helfen, eine Interpretation zu erarbeiten. Aber jetzt brauchen wir mehr. Die Orchester, die Chöre und die Solisten sind inzwischen so gut, dass sie ohne Dirigent spielen können. Aber ich denke, mit einem Dirigenten spielen sie noch besser. Warum? Weil der Dirigent sie inspirieren kann – und das Publikum ebenso, denn er ist derjenige, der am besten zu sehen ist auf der Bühne. Wenn der Dirigent eine Geste zu den Holzbläsern macht oder zu den zweiten Geigen, dann tut er das nicht nur fürs Orchester. Das meint nicht unbedingt, dass sie lauter oder anders spielen sollen. Es ist auch eine Geste fürs Publikum, damit die Leute ihre Aufmerksamkeit auf diese Gruppe von Musikern richten. Der Dirigent ist auch ein Interpret im theatralischen Sinne.

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