
András Schiff, 1953 in Budapest geboren, gehört nicht nur als Pianist zu den prägenden Musikern der letzten Jahrzehnte. Er gründete 1989 die Mondsee Musiktage, 1995 gemeinsam mit Heinz Holliger die Pfingstkonzerte im schweizerischen Itting, 1998 in Vicenza das Festival Omaggio a Palladio und 1999 sein eigenes Orchester, die Cappella Andrea Barca, die er selbst dirigiert. Er unterrichtet an der Kronberg Academy und an der Barenboim-Said Academy in Berlin und fördert junge Musiker im Rahmen seines Mentoringprogramms „Building Bridges“ (das Brücken baut zwischen jungen Profipianistinnen und -pianisten und Veranstaltern). Im Juli stellte Schiff, der neben der ungarischen auch die österreichische, die britische und die deutsche Staatsbürgerschaft hat, im Schloss Elmau seine drei aktuellen Protegés vor.
Herr Schiff, bei „Building Bridges“ entwickeln Sie die Programme mit den jungen Musikerinnen und Musikern gemeinsam. Worauf achten Sie dabei?
Die Ideen müssen von den jungen Menschen kommen. Wir besprechen die Programme, aber ich entscheide nicht, ich gebe Ratschläge. Ich sage zum Beispiel: Ich finde, diese Stücke passen nicht gut zusammen. Oder es kommt ein junger Mensch zu mir und sagt: Ich möchte in meinem Debüt-Recital Beethovens op. 111 spielen. Dann ist mein Ratschlag: Warte damit. Unser Repertoire ist so groß. Es gibt viele Stücke, die sehr geeignet sind für junge Menschen, und andere, die eine gewisse Lebenserfahrung oder Lebenserlebnisse brauchen.
Sie haben die Beethoven-Sonaten erst spät aufgenommen. Es heißt, man solle Mozart sehr spät spielen, da er technisch relativ leicht, aber trotzdem schwer zu interpretieren sei. Würden Sie das auch so sehen?
Fast alle Pianisten sagen, dass Mozart sehr schwer ist. Ich würde das nicht behaupten – ich habe Mozart schon wundervoll von Kindern gehört.
Weil sie noch nicht darüber nachdenken ...
Ja, sie sind sehr musikalisch und unschuldig. Sie sehen nicht die Hintergründe oder die Tiefgründe dieser Musik. Sie komplizieren es nicht unnötig. Nach der Kindheit und vor der Altersweisheit kommen die langen Jahrzehnte: Da fällt Mozart sehr schwer, wenn man zu grüblerisch ist. Beethoven ist eine andere Sache. Beethoven hat viel länger gelebt als Mozart. Bei Beethoven sehen wir eine Evolution zwischen Frühwerken, der mittleren Periode und dem Spätwerk. Deshalb sind seine Stücke unglaublich unterschiedlich vom Charakter. Manche sind stürmisch und dramatisch, manche zärtlich und lyrisch, andere humoristisch oder komödiantisch. Um alle Beethoven-Sonaten zu spielen, muss man diese ganze Palette beherrschen. Deshalb sind die Beethoven-Sonaten solch eine Herausforderung. Ich konnte op. 28, die „Pastorale“, mit 18 Jahren sehr gut spielen. Aber die „Appassionata“ habe ich furchtbar gespielt. Das war nicht mein Charakter. Ich hatte nicht genug gelitten dafür. Und ich war als junger Mensch nicht von heroischer Natur. Das Stück lag mir nicht. Ich musste jahrzehntelang kämpfen, um es zu erobern. Und für die letzten Sonaten, op. 110 und 111, hatte ich eine so tiefe Verehrung und einen solchen Respekt, dass ich bis zum fünfzigsten Lebensjahr gewartet habe, bis ich sie gelernt habe. So war erst dann der Zyklus fertig.
Sie haben in den letzten Jahren immer häufiger auf historischen Instrumenten gespielt, beispielsweise die „Diabelli-Variationen“ einmal auf einem historischen Bechstein und einmal auf einem Brodmann aufgenommen. Zuletzt haben Sie die Brahms-Konzerte auf einem historischen Blüthner eingespielt. Warum?
Da habe ich eine Evolution durchgemacht. Als ich in den 70er Jahren noch in Ungarn lebte, gab es dort einen Hammerflügel von Broadwood, Beethovens eigenes Instrument, und ich hatte die Ehre, darauf eine Aufnahme mit Werken Beethovens zu machen. Aber das Instrument war in keinem guten Zustand, und so bekam ich den Eindruck, es sei Quatsch, auf historischen Instrumenten zu spielen. Erst viele Jahre später zeigte man mir in Salzburg Mozarts Hammerflügel von Anton Walter. Das war eine Entdeckung! Das Instrument war in sehr gutem Zustand und im richtigen Raum: in Mozarts Geburtshaus in dem Zimmer, in dem er angeblich geboren wurde. Mit einem wunderbaren Holzboden. Das klang so fantastisch, da hat sich meine Meinung sehr geändert. Ich wurde quasi konvertiert vom Saulus zum Paulus.
Die historischen Instrumente besitzen verschiedene Register, klingen nicht in allen Lagen ausgeglichen, sondern im Bass, in der Mittellage und im Diskant sehr unterschiedlich. Und so haben die Komponisten dieser Zeit auch geschrieben, also mit diesem sehr differenzierten, nicht ausgeglichenen Klangbild im Ohr. Mozart zum Beispiel war ein Pragmatiker im besten Sinne des Wortes. Er hat für diesen Walter geschrieben, dessen höchster Ton das dreigestrichene f ist. Und wenn dieser Ton erreicht wird, weiß man: Mein Gott, das ist die Grenze. Genauso bei der tiefsten Note. Mozart benutzt also die Klaviatur Walters bis zum Extrem, aber auf einem modernen Klavier kommen da noch Oktaven nach unten und nach oben. Bei einem modernen Flügel sind außerdem die Register sehr ausgeglichen. Und man muss manchmal sehr vorsichtig sein, dass man dynamisch die Grenze nicht überschreitet. Das ist nicht unbedingt gut für die Expressivität dieser Musik. Man darf diese Musik nicht zurückhaltend spielen, muss aber trotzdem vorsichtig sein, weil beispielsweise beim modernen Konzertflügel die Basssaiten umsponnen sind und die Bassregion daher ziemlich gewaltig klingt. Zudem liegen die Basssaiten diagonal über den anderen Saiten. Man hört dann den Bass oft zu stark, zu robust. Wenn ich also mit den Erfahrungen von historischen Instrumenten zurück zu den heutigen Konzertflügeln komme, spiele ich viel differenzierter und sehr bewusst – nicht um den historischen Klang zu imitieren, aber schon mit dem Wissen um die Gegebenheiten der historischen Instrumente im Ohr und im Hinterkopf.