
Von einem der entlegensten Orte hat es Pene Pati auf die wichtigsten Opernbühnen der Welt geschafft, im Oktober ist er unter anderem an der Berliner Staatsoper zu hören. Der auf Samoa geborene Tenor sang lange Zeit in Chören und gemeinsam mit seinem Vater und Bruder regelmäßig in einem Altersheim. Eine klassische Gesangsausbildung begann er jedoch erst mit Mitte zwanzig.
Herr Pati, Sie sind in den 90er Jahren in einem Vorort von Auckland aufgewachsen. Welchen Stellenwert hatte klassische Musik zu der Zeit in Neuseeland?
Keinen besonders großen, viele Menschen kannten Klassik nur aus der TV-Werbung. Chöre waren bei uns schon immer sehr weit verbreitet, aber nicht klassischer Sologesang. Kiri Te Kanawa war damals die einzige bekannte klassische Musikerin aus Neuseeland. Ansonsten gab es im Bereich Oper praktisch keine Vorbilder, man kam also erst gar nicht auf die Idee, Opernsänger zu werden.
Ihr Interesse an der Oper wurde vor allem durch Youtube-Videos geweckt. Was, wenn es die Plattform damals nicht gegeben hätte?
Vermutlich wäre meine Karriere erst viel später losgegangen. Oder ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass das ein Beruf für mich sein könnte. Die Plattform zeigt den Menschen ja, was in der Welt alles möglich ist. Ich habe dort zum ersten Mal Pavarotti gesehen, habe genau studiert, was er macht, seinen Gesichtsausdruck, wie das Publikum auf ihn reagiert etc. Ich habe mir auch komplette Opern auf Youtube angeschaut.
Wann haben Sie sich entschieden, diesen Berufsweg einzuschlagen?
Ich habe 2009 und 2011 an Gesangswettbewerben in Rotorua und in Sydney teilgenommen. Beide Male sagte ich mir: Wenn ich nicht gewinne, lasse ich es bleiben. Aber dann bekam ich beide Mal den ersten Preis, weshalb ich 2011 zum Studium nach Cardiff ging.
Inzwischen schwärmen viele Menschen für Ihre Stimme. Wie viel Naturtalent und wie viel harte Arbeit steckt dahinter?
Es hat schon mit viel Arbeit und Erfahrung zu tun, mit der Zeit, die ich dafür investiert habe. Aber genauso gehört dazu, dass das Singen bei uns Polynesiern von Natur aus Teil des Lebens ist, in meiner Familie war es völlig normal zu singen, spontan, ohne großes Überlegen. Wenn ich mal abseits der Bühne um eine Gesangseinlage gebeten werde, mache ich das ohne zu zögern, ich denke dann nicht: ‚Oh, ich muss mich erst mal einsingen.‘ Ich versuche, das Singen nicht zu sehr zu analysieren. Natürlich ist eine Arie für mich auch ein gedanklicher Prozess, aber gleichzeitig möchte ich mir diese gewisse Ungeschliffenheit bewahren, die aus der Spontaneität heraus entsteht.
Arbeiten Sie heute noch viel an der Stimme?
Absolut. Auch wenn man sehr beschäftigt ist, sollte man sich dafür immer die Zeit nehmen, ich treffe meinen Lehrer regelmäßig. Mit ihm und ein paar anderen Vertrauenspersonen überlege ich dann, was ich als Nächstes singen könnte. Zum Beispiel reizen mich Rollen wie Pagliacci, Otello oder Cavaradossi, aber bis dahin braucht es noch Zeit. Die Partien, die ich aktuell singe, wie Gounods Faust, Alfredo in der „Traviata“ oder Rodolfo in „La Bohème“, sind genau richtig für mich.
In jungen Jahren war Ihr Wunsch, dass eines Tages Menschen ins Theater kommen, um Sie zu hören. Was sind heute Ihre Ziele?
Zum Beispiel, dass die Menschen in meiner Heimat diese Kultur kennenlernen, dass sie sehen, wie jemand von unseren Inseln auf die Opernbühne gelangen kann. Andersherum versuche ich, Europäern etwas von der polynesischen Kultur zu zeigen. Erfreulicherweise gibt es dafür auch ein großes Interesse. Früher habe ich manchmal ein Lied der Maori als Zugabe gesungen, mittlerweile fragen mich Veranstalter, ob ich einen ganzen Programmteil mit polynesischen Liedern gestalten kann. Vielleicht gelingt es ja, dass ich eines Tages irgendwo in Deutschland ein Konzert besuche und der Solist auf der Bühne interpretiert ein samoanisches Lied. Das wäre tatsächlich mein größtes Ziel.
Ihr Bruder Amitai Pati ist ebenfalls als Tenor erfolgreich. Können Sie im Krankheitsfall einander ersetzen?
Dazu ist es tatsächlich schon gekommen. Einmal sollte ich in Bizets „Perlenfischern“ in Paris auftreten, bekam aber dann ein Engagement für „Romeo und Julia“ in Bordeaux, also habe ich Amitai gebeten, meine Rolle zu übernehmen. Es gab auch eine „Traviata“ in Amsterdam, wo er krank war und ich eingesprungen bin. Und als ich 2024 in „Romeo und Julia“ in Berlin nicht singen konnte, hat er mich ersetzt.
Sie haben schon als Kinder zusammen gesungen. Was haben Sie von Ihrem Bruder gelernt?
Er war für mich stets die Motivation, noch besser zu werden. Schließlich bin ich sein älterer Bruder, es war wie eine Art Verpflichtung, dass ich immer einen Schritt voraus sein muss. Es ist aber kein Wettbewerb zwischen uns. Wir haben schon so viel miteinander gesungen, früher im Altersheim, das unser Vater leitete, und später in unserem Trio Sol3 Mio, es ist immer ein großes Vergnügen, das ich gegen nichts eintauschen möchte.
Während Ihres Studiums wurden Sie auch von Kiri Te Kanawa unterstützt. Was hat sie Ihnen beigebracht?
Pianissimo zu singen. Einmal hörte ich sie „Oh! quand je dors“ von Liszt singen, das war so wunderbar sanft – und sie erklärte mir: ‚Laut kann jeder singen, pianissimo nicht. Mach etwas, was den Leuten schwerfällt, dann stichst du damit heraus.‘ Sie ist eine absolut zielstrebige Künstlerin und hat für ihre Karriere alles gegeben. In dem Punkt waren wir uns auch nicht immer einig, etwa wenn es Momente gab, wo mir meine Familie wichtiger war als die Karriere.
Apropos: Was haben Sie in musikalischer Hinsicht von Ihrer Frau gelernt, der Sopranistin Amina Edris?
Da gibt es so viel. Zum Beispiel hat sie mir geholfen, ein besserer Schauspieler zu werden und besser Französisch zu sprechen – aber auch demütig zu sein und auf dem Teppich zu bleiben, egal wie erfolgreich man ist.
Auch wenn Sie ihn nie getroffen haben, darf nun die Frage nicht fehlen, was Sie von Pavarotti gelernt haben.
Die Freude in seinen Darbietungen. Man konnte ihm immer ansehen, wie viel Vergnügen ihm das Singen bereitete. Er wirkte nie nervös oder angestrengt, sondern es hatte bei ihm immer eine große Leichtigkeit. Wie er das Passagio gestaltete, war meisterhaft, das war eine der ersten Sachen, die ich auch lernen wollte. Seinen Klang habe ich aber nie versucht zu imitieren, auch wenn mir heute manche Zuhörer sagen, dass meine Stimme ähnlich klingt.
Den Drei Tenören gelang es damals, mit Klassik riesige Stadien zu füllen. Wäre so etwas auch heute möglich?
Ich denke schon. Es braucht dafür aber jemand, der so eine Persönlichkeit hat, die Technik, den Mut, die Lebensgeschichte. Pavarotti, Domingo, Carreras, das waren drei individuelle Charaktere, die aber auch zusammen gut funktionierten. Und vor allem waren sie gleichzeitig auf den Opernbühnen in der ganzen Welt präsent. Sie waren zugänglich für Kenner, aber auch für Menschen, die nur ab und zu Klassik hören. Ich kann mir vorstellen, dass es so eine Formation noch mal geben wird.
Könnte das theoretisch auch mit drei Baritonen klappen?
Also, ich will den vielen tollen Bariton-Kollegen nicht zu nahetreten, aber das würde vermutlich nicht funktionieren. Es gibt etwas bei Tenören, was die Leute besonders fasziniert. Einen Bariton hört man und denkt im ersten Moment: Das ist ungefähr meine Stimmlage, das könnte ich auch. Wohingegen die Menschen beim Tenor oft das Gefühl haben: Das ist etwas ganz Besonderes, das können nur ganz wenige.