
Ihr Spiel strahlt innere Ruhe und Wärme aus. Man nimmt ihre tiefe Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Werk wahr, und vor allem ihren Respekt vor der Musik. Einerseits. Und andererseits fasziniert die Geigerin Lea Birringer, Jahrgang 1986, mit einer atemberaubenden Technik. Doch niemals schießt ihre spürbare Lust an der Virtuosität übers Ziel hinaus. Schwierigste Läufe, halsbrecherische Akkordfigurationen, schwindelerregende höchste Geigenregionen oder weit ausladende Bögen, leiseste Pianissismo-Passagen verkommen bei Lea Birringer nicht zum Selbstzweck, zu eitler Show. Jedes Elementarteilchen der Musik hat seinen Platz im großen Mosaik des Werkes. Glasklar sind diese Qualitäten der im Saarland gebürtigen Musikerin wahrnehmbar. Beispielsweise bei ihrer letzten CD mit dem d-Moll-Violinkonzert von Jean Sibelius und dem zweiten Violinkonzert von Karol Szymanowski.
„Für mich war immer klar, dass ich unbedingt einmal Sibelius’ Violinkonzert aufnehmen wollte. Dieses Werk begleitet mich schon so lange, und es liegt mir sehr am Herzen. Die Frage war dann, mit welchem Konzert könnte man Sibelius kombinieren?“ Viele Ideen ließ sich Lea Birringer durch den Kopf gehen, sie diskutierte sie mit ihrem Label und mit der Intendanz des Staatsorchesters Rheinische Philharmonie. „Wir haben auch an echte Raritäten gedacht, zum Beispiel an die Konzerte des Norwegers Johan Halvorsen oder des Briten Frederick Delius. Aber ich wollte nicht nur etwas Ungewöhnliches, sondern etwas, das auch musikalisch wirklich überzeugt.“
Szymanowskis zweites Konzert hatte Lea Birringer schon im Studium gespielt, sie nahm es sich noch einmal gründlich vor. Mit der völlig anderen Klangsprache als der des noch sehr romantisch geprägten Konzerts von Sibelius schien es ihr eine gute Ergänzung, ein idealer und reizvoller Kontrast. „Die Art, wie die Violine in die dichte Orchesterstruktur eingebettet ist, verbunden mit den tänzerischen Rhythmen der Musik der Goralen aus der Tatra und einer besonderen Energie, das hat mich sofort wieder gepackt. Andererseits hat Szymanowski auch ganz sphärische und teilweise sehr intime Klänge. Deswegen ist seine Musik nicht nur extrovertiert. Er verbindet beides: Impressionismus und Expressionismus.“
Mit dieser Sorgfalt hat Lea Birringer all ihre bislang sieben Alben konzipiert. Spannendes, ungewohntes Repertoire, jenseits der ausgetretenen Pfade des Mainstreams – Lea Birringer möchte ihre Hörer an ihrer Entdeckerfreude teilhaben lassen, aber sie will sie auch nicht „ersticken“ mit einem Zuviel an Unbekanntem, an Komplexem. Die Mischung macht’s. Deshalb kombiniert Lea Birringer die Raritäten gern mit bekannteren Werken.
Kontrast, Ergänzung, Abwechslung – diese Aspekte prägten auch die Ausbildung der Geigerin. „Unsere Eltern waren keine Musiker, sie kommen aus dem pädagogischen Bereich. Sie waren Lehrer und immer sehr musikinteressiert.“ Lea Birringer und ihre ältere Schwester, die Pianistin Esther Birringer, hatten schon früh Musikunterricht. Lea wurde bereits mit neun Jahren Jungstudentin an der Musikhochschule Saarbrücken, mit 14 konzertierte sie bei den Berliner Symphonikern. Ihr Vater fuhr sie alle 14 Tage nach Bern zu dem renommierten Geiger und Pädagogen Igor Ozim, später studierte Lea Birringer bei ihm in Salzburg. Insgesamt hat sie sieben Jahre mit Ozim gearbeitet. „Er hat mich sehr geprägt. Er war sehr strukturiert. Problemstellen wurden systematisch analysiert. Alles andere war erst einmal ausgeblendet, der Fokus ging auf dieses eine Problem. Das gab mir eine sehr gute Basis, meine ganze Technik habe ich bei Ozim gelernt und dann verfeinert bei Pavel Vernikov.“ Zu dem ukrainischen Geiger in Wien ging Lea Birringer nach dem Bachelor. „Nach sieben Jahren war das ein gesunder Wechsel. Ozim und Vernikov sind eigentlich wie Yin und Yang, für mich aber eine optimale Ergänzung. Vernikov ist ein Vollblutmusiker, alles ist bei ihm Musik. Er analysiert nicht, er spielt einfach!“
Beide Lehrer wirken bis heute in Lea Birringer nach. Pavel Vernikov durch sein bedingungsloses passioniertes Musikertum, Igor Ozim besonders durch seine strukturierte Art des Unterrichtens. Seit November 2024 hat Lea Birringer eine Professur am PreCollege der Musikhochschule Würzburg. Hier unterrichtet sie schwerpunktmäßig hochbegabte junge Geigerinnen und Geiger, die noch zur Schule gehen, aber auch Vollstudierende. „Ich integriere sehr viel von Igor Ozims Art des Unterrichtens in meine Art, gerade was das Technische angeht.“ Wie in ihrem eigenen Studium hat Lea Birringer beispielsweise Gruppenunterricht für alle Studierende eingeführt. „Das sind Technikstunden, die wir damals alle paar Wochen hatten. Da hieß es dann: ‚Du spielst jetzt eine A-Dur-Tonleiter, obere Hälfte détaché, und du eine G-Dur-Tonleiter martelé.‘ Bei Tonleitern kann vieles geübt und verbessert werden, vom Bogenwechsel über verschiedene Stricharten oder Lagenwechsel bis zu Fingerfall oder Vibrato.“
Es vermittelt sich, dass Lea Birringer eine passionierte Lehrerin ist, sie sucht gemeinsam mit den Studierenden nach den besten Lösungen. „Ich denke sehr viel über das Unterrichten nach und frage mich oft nach einer Stunde, ob ich sie vielleicht besser oder anders hätte gestalten sollen. Hätte ich etwas anders erklären können, hätte ich einen anderen Fokus setzen sollen? Man will ja immer das Beste aus sich selbst herausholen.“
Die Professur an der Musikhochschule Würzburg ist bislang eine halbe Stelle. Das passe, sagt Lea Birringer, gut zu ihrer momentanen Situation. Denn sie benötige Zeit, um ihre Konzerte oder CD-Produktionen vorzubereiten. „Alles unter einen Hut zu bringen, dass ich mich selbst nicht vernachlässige, das ist momentan schon eine Gratwanderung. Ich investiere sehr viel in meinen Unterricht, aber ich bin in Würzburg nicht nur Professorin, sondern ich bin auch im PreCollege-Leitungsteam tätig, da kommen außerhalb des Unterrichts einige Zusatzaufgaben auf mich zu.“
Zurzeit hat Lea Birringer für Konzerte unter anderem Violinkonzerte von Paganini und Schostakowitsch im Programm und das Doppelkonzert für Violine und Klavier von Bohuslav Martinů. Mit ihrer Schwester Esther steht im Dezember die Aufnahme für eine neue CD an. Es geht um die schwedische Geigerin und Komponistin Amanda Röntgen-Maier. Lea Birringer weiß es zu schätzen, dass sie diese Projekte neben ihrer Professur realisieren kann. „Für mich ist das eine sehr gute Kombination, Konzertieren und Unterrichten. Beim Unterrichten wird einem ja ein Spiegel vorgehalten. Man entdeckt so vieles für sich selbst wieder, worauf man dann beim eigenen Üben plötzlich wieder achtet. Das eine ist auch ein Benefit für das andere.“